Der Tag, an dem ich wieder mit dem Schreiben angefangen hätte. Er kam, er war da, er verstrich. In zwei Monaten Krankheits-Exil im Harz machte ich den Mac genau zweimal an: um das erste Album von Louane zu laden, um es dann auf dem Ipod zu synchronisieren und um die DVD „Man in an Orange Shirt“ anzuschauen. Die Tage gestalteten sich, wie für LBurg übrig, um die Nahrungszubereitung herum. Anstatt schriftstellerisch aktiv zu werden, kochte ich Hagebutten ein oder fertigte Zeichnungen einer Garage an. Ich kam zu Kartoffelklößen und kochte Würstchen-Gulasch mit Rotkohl und Kartoffel/Birnen-Purree für meine Nichte, meinen Neffen und seinen Band-Kollegen. Ich verbrachte Zeit mit Lesen und zuviel zu trinken. Besuchte eine Ausstellung zum Thema Euthanasie im „Dritten Reich“, die in der örtlichen Nervenheilanstalt gezeigt wurde. Sie beschäftigte mich tagelang und wirkt bis heute nach. (Das gleiche gilt für den Bruch meiner Kniescheibe, der das Exil veranlasst hatte. Gebrochene Kniescheiben und Dachgeschosswohnungen ohne Aufzug gehen nicht gut zusammen.) Überhaupt bewegte ich mich viel auf dem Klinikgelände, das das Herz des Dorfes ausmacht. Es ist sehr schön gestaltet – ich musste an die Universal-Studios denken, die ja auch wie eine Stadt in der Stadt aufgebaut waren. Mein Tempo (Rentnerinnen überholen mich mit ihren Rollatoren) fand irgendwie auf dem Areal der Nervenklinik Bestätigung. Auffällig, wieviele schwer unter den Nebenwirkungen von Psychopharmaka Leidende arg beruhigt umherstapften. (Das war vor ein paar Jahren noch anders.) Ich humpelte unter ihnen.
Ich gewöhnte mir Radio hören an und das hab ich mit nach B genommen. Es gibt hier jetzt ein Küchenradio. In Lburg war der bevorzugte Sender meiner Mutter eingestellt. Auch als sie eine Woche im Urlaub war, verstellte ich den Sender nicht – ich war den sedierenden Hypnosen NDR1 Radio Niedersachsens aufgesessen. Eine anachronistische Zeitschleife, die mich irgendwann erwischt hatte. Zu den schönen Dingen des Alltags gehörte es irgendwann, dass man, egal, wann das Radio anstellte, sicher gehen konnte, nicht überrascht zu werden. Tagesthemen wurden konsequent und mit Akribie durchbe- und abgehandelt Am internationalen Tag der Erfindung, wurden stundenlang Radio-Niedersachsen-Hörer angerufen und durften ihre Ansichten betreffs allem rund um die Erfindung preisgeben. Meine Lieblings-Hörerin, nach der wichtigsten Erfindung der Menschheit gefragt, musste nicht lange überlegen. „Kaffeemaschine. Einstellen. Durchlaufen. Trinken.“ Sturmfest und erdverwachsen, so sind wir. Das wird man auch nicht mehr los.
Zurück in B läuft in der Küche jetzt Deutschlandradio Kultur. Beschallung tut mir gut. Die Aufgabe jetzt ist, Aufgaben zu finden, um nicht bekloppt zu werden angesichts der vielen Zeit, die ich mit mir selbst habe. Der Faktor Arbeit ist eine unterschätzte Maßnahme in der Beschäftigung, sich selbst nicht in Fransen zu schneiden. Ich gehe jetzt drei Stunden täglich ins Büro, den Rest der Zeit changiere ich zwischen Beine hochlegen und Beine vertreten. Verlangsamt sieht man mehr. Dann war es mir ein Bedürfnis, zu Zeichnen, das ging auch mit hochgelegten Beinen, und auf einmal war es für mich das größte Faszinosum, wie ich Laub und Blätter wohl mittels Bleistift auf Papier bringen würde können. Mit Worten und Sprache war ich nicht so. „Du bist so ruhig geworden, in den letzten Wochen“, sagte die Mutter. Was ein Glas Wein nach dem Frühstück zur Beruhigung beitragen kann – fragen Sie mich.
Und sonst auch. Ich habe zu erzählen, stelle ich fest. Aber ich bin zickig mit meinem Content. Ich schreib, wenn ich will. Und wenn nicht, höre ich Radio. (Wissen sie noch, wie es wahr, als man miteinander am Telefon Gespräche führte?)