KANSAS

Irgendjemand müsste vielleicht auch mal mit dem Hund gehen, der war heute noch gar nicht so richtig draußen. Und weil gerade sonst niemand da ist, mache ich das. Ich mag den Hund nicht besonders, er mich um so mehr. Kaum sieht er mich, verfällt er in diese hyperaktive Routine, spielt putzig wie in einem Kinderbuch. Diese Art Hund, der auf den Menschen am meisten abfährt, der für ihn am wenigsten übrig hat. Der Hund ist uncool.
Hier ist es viel wärmer als in Berlin, ich brauch nur eine Trainingsjacke, wo ich heute Morgen im Wintermantel aufgebrochen bin. Hinter Magdeburg verschwand das Nieselwetter und kurz vor Salzgitter gab es mit einem Mal die volle Herbstpracht. Bäume in allen Orange und Rot-Nuancen, sehr pittoresk. Normalerweise ist es hier drei bis vier Grad kälter als in der Stadt, aber heute ist es mal andersrum.
Meine Mutter ist auf dem Weg ins Krankenhaus, während ich am Feld entlang spaziere, Ipod auf Shuffle. Kate Bush darf mal wieder in L. singen, L. ist das egal, mir nicht. L. und Kate Bush, das ist meine Kindheit. An einem Tag wie heute zu shufflen ist gefährlich, aber ich bleibe von traurigen Balladen oder Vaterliedern verschont. Als ich ins Feld abbiege, neben den beiden riesigen Weiden, die ein Tor bilden, durch das man die Windmühle sieht, Felder, Bäume, schmale Wege, erklingen im Kopfhörer die Klick-Klack-Pferde-Geräusche, die ankündigen, dass gleich Doris Day unbedingt wieder zurück will zu den „black hills of Dakota“. Wenn sie jemand gelassen hätte, dann wäre es sicher ein anderes Lied geworden. Und ich überlege, wo ich jetzt lieber wäre. Sicher nicht im Krankenhaus, wo er vermutlich jetzt gerade aus dem OP kommt. Er kann schlecht damit umgehen, wenn man ihn schwach sieht. Ich kann schwer damit umgehen zu sehen, wie er sich dann schämt. Aber er würde es auch spüren, wenn meine Mutter nicht da wäre und deshalb ist es gut, dass sie da ist, wenn er aufwacht.
Die Sonne scheint mir in den Nacken, ich sehe zwei Schatten vor mir, die man für Dorothy nach einer Geschlechtsumwandlung und 30 Jahre später, sowie Toto im Original halten könnte. Der Kinderbuchhund sieht wirklich aus wie Toto. Und wird mir gleich etwas sympathischer. Aber nicht zu. Ich laufe weiter. Vermute hinter jeder Biegung des Weges eine Abwechslung, aber hinter jeder Biegung findet sich eine Gerade, dann eine weitere Biegung. Es riecht nach Fallobst, was an dem Fallobst liegt. Zielloses Umherlaufen, entschuldigt durch das Tier an der Leine.
Das Handy vibriert.
„In einer halben Stunde kann ich zu ihm. Er wird noch beatmet.“
„Haben sie Dir schon sagen können, wie es ihm geht?“
„Sie haben mich gefragt, wer mir gesagt hätte, dass ich schon zu ihm könne. Da hab ich gesagt – niemand. Das habe ich selbst entschieden.“

Wir gehen alle unseren Weg. Manche mit mehr Ziel als andere.

kansas

6 Gedanken zu „KANSAS

  1. skailight

    denke doll an dich ! kann und mag auch nicht nach berlin , wenn du da nicht bist ; fehlt was …

    sei tapfer , geh weiter (und wenn du an irgendeiner kreuzung nicht weiter weißt , fragste mich ! auch wenn ich den weg nicht kenne , zeig ich dir wo’s langgeht …)

    „… denn wer weiter will muss weiter geradeaus …“

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