GLAMS ROSA STRAUCH

Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es mehrere Generationen und sehr sehr viele Frauen gab. Über die Nachteile dieser Auslieferung habe ich bereits geschrieben, aber es gab auch einen Vorteil: meine Tante Rosa. Ausnahmsweise werde ich mal einen Namen nicht ändern, weil ihr Name so poetisch und Zeichentrickfilmmäßig war, dass mir kein adäquates Pseudonym einfällt. Meine Großtante hieß nämlich Rosa Strauch. Tante Rosa hatte ihren Mann und Sohn im Krieg verloren und bewohnte dank Witwenrente ein kleines Einfamilienhaus mit Garten. Tante Rosa hatte den Grünen Daumen. Bei ihr wuchs und gedieh alles, nur der Geraniengeruch im Wohnzimmer im Winter war etwas, auf das ich gerne hätte verzichten können. Tante Rosa wurde nicht von allen Kindern gemocht und das hatte seine Gründe: sie bevorzugte mich aufs Extremste. Wenn wir im Sommer draußen spielten, kam sie mit frisch gebuttertem Zwieback vorbei – selbstverständlich nur für mich, nicht für die Nachbarskinder. Die mochte sie nicht, wie auch sonst keine Kinder, mit denen sie nicht verwandt war. Tante Rosa drohte fremden Kindern mit Prügel, wenn sie sich mir gegenüber schlecht verhielten. Und da sie aufgrund ihres strengen Auftretens eine Respektsperson war, brachte sie den bösen Kindern Ehrfurcht bei.
Tante Rosa bezog diverse Magazine: das Goldene Blatt, die Frau im Spiegel, die Neue Revue. Da sie nichts wegwarf, war ihr Dachboden mein Paradies – dort las ich Bertichterstattungen über Hollywoodparties zu Zeiten, als Marilyn noch lebte. Ich erinnere mich, mit Tante Rosa über Zeitschriften gebrütet zu haben als Romy Schneider heiratete.
„Dieser Biasini – das wird doch nichts. Und rauchen hat sie auch nicht in Deutschland gelernt.“
Einmal sah sie mich mit verschränkten Händen sitzen und sagte „Siehst Du – Du betest DOCH!“ (Sie war sehr katholisch, ich schon sehr früh sehr ungläubig.)
Anfang der 80er stand Rosa eines Tages in ihrem Garten und gestikulierte dem Nachbarn. Ihr Gesicht wirke verzweifelt und sie brachte nur ein Wort hervor – den Namen meines Vaters. Als er mit dem Arzt eintraf stellte sich heraus, dass sie einen Schlaganfall erlitten hatte. Der Name meines Vaters war das letzte, was sie jemals aussprach. Ein paar Wochen sah es bedenklich aus – sie lag im Krankenhaus und uns war klar, dass sie sterben würde. Ich habe sehr viel geweint, damals, und als es ihr plötzlich besser ging, waren wir erstaunt und erleichtert. Sie bezog ein Zimmer in einem katholischen Altenheim, von dem sie das ganze Dorf beobachten konnte. Tante Rosa mochte vielleicht nicht mehr sprechen können, aber zuhören und verstehen klappte noch prima. Und Magazine lesen sowieso. Sie eignete sich hervorragende mimische und gestische Fähigkeiten an und so gelang es ihr sogar mich gegenüber meinen Eltern zu verpfeifen, weil sie mich aus ihrem Panoramafenster heraus hatte rauchen sehen.

Als sie einige Jahre später starb, wurde die Welt noch ein wenig dunkler, als sie schon geworden war, als der liebe Gott die liebe Rosa vom Mittel der Sprache befreit hatte. Diese Geschichte hat keine Pointe. Weder stelle ich regelmäßig Blumen auf ihr Grab (nur unregelmäßig), noch habe ich das Gefühl, dass meine verstorbene Grüne-Daumen-Rosa-Strauch-Großtante über mich wacht. Aber wenn ich an sie denke, sehe ich sie schlesisch lachen, sehe ihr faltiges Gesicht wie einen Holzschnitt und denke, dass ich irgendwann einmal gerne eine Firma nach ihr benennen würde. Rosa Strauch Inc. Und als Logo gibt es keinen rosa Strauch sondern einen Holzschnitt ihres Lachens.

7 Gedanken zu „GLAMS ROSA STRAUCH

  1. tradem

    Wirklich wunderschön geschrieben. Mit meiner Oma war das übrigens ähnlich. Nur das sie sich mit ihrem (der immer noch lebt) nicht leiden konnte.

    An ihre Stimme kann ich mich nur noch sehr wage erinnern. Erschreckend wie wenig bleibt…

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