PRAG. EIN TRIP. EIN FENSTERSTURZ. Teil 2

Tag 2

“Ignorance is bliss“ (Inoffizieller tschechischer Wappenspruch)

Vormittags im Hotel. Das erste Gespräch mit Dolly ist ernüchternd – Prognosen berichten von einer Wahlbeteiligung um maximal 25%. „Unsere“ Partei habe nur ca. 1% der Stimmen bekommen. Wir fahren in die Stadt, weil ich die CD von Helena Vondrackova kaufen will. Keiner hat sie. In einem Touri-Café lassen wir das Essen zurück gehen und Dolly bekommt einen Brotkorb an den Kopf. Wir fahren mit Kamerateam zur Polizeidienststelle, um das Video abzugeben – die Täter sind identifiziert, zumindest von uns, aber – wie angekündigt – interessiert das niemanden. Aus Frust bestellen wir Bohemia-Sekt, nicht auf der Polizeiwache, dort gibt es nur Bier, und können wieder ein wenig lachen. Unklar ist, ob es sich bei „Bohemia“ um das Land oder die Künstler handeln soll.
Wir reden über den Vorabend auf dem Moldaudampfer. Dolly bestätigt, dass am Tisch hauptsächlich schmutzige und meist frauenfeindliche Witze erzählt wurden. Und berichtet von der ersten Frage, die Luzi ihr mich betreffend stellte. “Is he gay? How big is his dick?“. Dieselbe Frage fiel mit Bezug auf den RTL-Redakteur, der mit uns reist. In beiden Fällen wusste sie keine Antwort. Auf einer Serviette entwerfe ich ein Plakat, das ich plane, auf den Klos schwuler Clubs und Bars in Prag zu plakatieren:

FOR GAY MALE VISITORS TO THE GOLDEN CITY OF PRAGUE IT IS HIGHLY RECOMMENDED TO PRINT BUSINESS CARDS WITH A PICTURE OF YOUR DICK ON IT (FOR BETTER RESULTS TRY AN ENLARGED
PICTURE).

Auf der Suche nach Briefpapier entdecke ich in der Schublade des
Hotel-Schreibtisches das Neue Testament. Ich fange an, mir Sorgen zu machen und ziehe dem „Le Palais“ einen Stern ab.

Wir treffen einen (unvorstellbar hässlichen) Partei-Aktivisten und seinen
jungen Freund Jiri zum Essen. Die Unterhaltung kommt immer wieder ins Stocken, weil wir nervös die endgültigen Wahlergebnisse erwarten. Nach einer Stunde, (in der Dolly immer wieder mit überspieltem Entsetzen die schmutzigen Witze, und die Erkundigung nach der Herkunft meiner Jeansjacke übersetzt) beginnt Jiri ein Gespräch mit mir in Deutsch/Englisch. Und wirkt fast charmant. Das erste, was er mir erzählt ist, dass er und der Partei-Aktivist lediglich Freunde seien. “Gut für Dich“, denke ich. Die Vorstellung, dass er mit so einem Monster ins Bett gehen könnte würde mir den Magen umdrehen und ich habe gerade gegessen. Dolly berichtet später, er habe erzählt, dass er sich ein Zubrot verdient, indem er alte Männer seinen Schwanz für 600 Kronen (20 Euro) durch die Unterhose befummeln lässt. Von dem Partei-Aktivisten wissen wir bereits, dass er (der Aktivist, nicht Jiri) für sexuelle Gefälligkeiten 300 Kronen (10 Euro) zahlt. Als ich Jiri frage, wovon er lebt, sagt er, er träume von einer Karriere als Autor und schreibe für den NEI-Report, ein Pornoblatt. Außerdem arbeite er für das Zollamt. Auf die Frage, wieviele Zigaretten ich aus der Tschechei ausführen darf, weiß er keine Antwort. In der NEI-Zentrale lege ich einen NEI-Report auf den Tisch und frage ihn, welcher Artikel von ihm stammt. Er strahlt, setzt sich neben mich und schlägt den Artikel auf. Es geht um heterosexuellen Analsex.
Im Artikel, den er mir ins Englische übersetzt, unterhalten sich Monica (!)
und Erica (!) darüber, wie toll ihr Sexleben durch Analsex bereichert wurde. Ich möchte wissen, wo er die beiden aufgetrieben hat. Er strahlt.
“Me no investigative journalist!“

“You like it?“ Ich mache eine Geste, die bedeuten soll, ob es ihm Spaß macht, für die NEI zu arbeiten.
“Anal sex yes. And you? You gay? You have boyfriend?“ Er rückt näher.
“Yes, gay. And no boyfriend“, sage ich.
“Me no boyfriend. Last one drink too much. Not pay rent or water or energy. I pay rent, water, energy. Have stereo and television. How old you are? Me 22.“
“I´m 30somehting.“
“You look 26.“
Dann schreibt er mir seine Adresse auf. Ich habe vergessen, Dolly zu
fragen, ob er sich nach meiner Schwanzgröße erkundigt hat. Der hässliche Mann, der mit ihm angeblich nur befreundet ist, schaut mich hasserfüllt an.

To be continued.

4 Gedanken zu „PRAG. EIN TRIP. EIN FENSTERSTURZ. Teil 2

  1. glamourdick

    REPLY:
    wahrheit funktioniert in romanen nicht. die besten romane sind frei erfunden. die realität, die es ja oft in sich hat, wird viel zu selten gewürdigt. dafür ist das bloggen ganz praktisch.

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