A WAREHOUSE OF THE FORGOTTEN

„As in all good children´s stories, Dare had eliminated a mother from the proceedings.“

Als die Eltern sich – quasi im vorbeigehen – trennen, bliebt der Sohn beim Vater, die Tochter bei der Mutter. Der Vater versucht sich in verschiedenen Karrieren und stirbt jung, möglicherweise durch die eigene Hand. Der Sohn wird von der Stiefmutter erzogen – seine leibliche Mutter wird er mehr als zwanzig Jahre nicht sehen. Die Mutter macht sich als Porträtmalerin einen Namen und die Tochter wird zu ihrem Lieblings-Model. Eine Journalistin beschreibt die Lebenssituation der beiden als schäbig, woraufhin die Mutter der Tochter die teuerste Puppe des Spielzeugladens kauft. Die Tochter benennt die Puppe nach der Mutter. Als sich in der Pubertät ihre Haarfarbe verdunkelt, malt die Mutter sie weiterhin blond. Die Tochter, die nicht weiß, ob ihr Bruder am Leben ist oder ob es ihn überhaupt gab, findet es schwer, zu anderen Menschen außer der exzentrischen Mutter ein Verhältnis aufzubauen. Sie erfindet sich neu, wird blond, stilisiert Gesicht und Körper aufs Extremste. Mutter und Tochter spielen Verkleidungsspiele. Die Tochter, die jetzt als Fotomodel arbeitet, findet Vergnügen an jeder Form von Verkleidung und Entkleidung. Wenn die Mutter sie nur in ihrer Funktion als Kunstvorlage liebt, dann stilisiert sie sich eben zum Lebenskunstwerk.

Als die Tochter feststellt, dass ihr Bruder lebt, noch dazu wenige Blocks von ihrem Apartment entfernt, ist sie fassungslos. Ein Treffen ist unvermeidlich. Als die beiden sich gegenüberstehen geht ein Ruck durch ihr Leben. Sie wissen, dass sie ihren Seelenzwilling vor sich haben, in bildschöner Gestalt. Doch vielleicht ist es auch mehr als das, vielleicht sind sie ineinander verliebt. Sie sprechen von Heirat, doch als Kompromiss verlobt sich die Tochter mit dem besten Freund des Bruders. „In the pictures Blaine took of Philip and Dare, they appear lit from within“, schreibt Jean Nathan, aber das gilt in viel stärkerem Maße für die Fotos, die das Geschisterpaar Dare und Blaine zeigt.

Wie geschwisterlich sind die Gefühle, wenn man das Geschwisterkind erst mit Mitte 20 entdeckt? Wenn einem eine wunderschöne Gestalt gegenüber steht? Die Mutter betrachtet die Annäherung der beiden skeptisch. Sie hat sich jahrelang eingeredet, dass der Sohn nichts wert sei und nun nimmt er ihr auch noch die Tochter fort. Sie tut, was sie kann, die Binnenwelt der Mutter-Tochter-Bindung zu stärken.

Der Bruder schenkt ihr einen Teddybären. Jahre später, sie hat die Kameraseite gewechselt, veröffentlicht sie ein Kinderbuch über „The Lonely Doll“, die erst Freude am Leben findet, als zwei Teddybären in ihr Leben treten.
Die Fotos in dem Buch haben etwas berührendes, aber auch zutiefst morbides. „It seemed to be a book that entered into the consciousness of the children who read it in a particularly strong way.“

Die Autorin betritt die Wohnung von Dare Wright, die schon seit Jahren in einem Krankenhaus liegt, eigentlich hat man sie schon aufgegeben, aber es soll noch ein paar Jahre dauern, bis sie stirbt. Sie beschreibt das Apartment: „It was like a warehouse of the forgotten.“ Und genau so fühlt es sich an, „The Secret Life of the Lonely Doll“ zu lesen, als betrete man ein vollgestopftes Apartment voller Erinnerungen, inklusive der vergessenen und verdrängten.

Die Liebesgeschichte zwischen Dare und Blaine ist die bewegendste, die ich je gelesen habe. Die Bilder (sroll down) transportieren dieses Gefühl einer Sehnsucht und Bestimmung, dass man in die Fotos springen möchte, und teilhaben an dem starken Band, das zwischen diesen beiden Menschen existierte. Dass man ihre Verbindung sanktionieren möchte, muss. Touché.

5 Gedanken zu „A WAREHOUSE OF THE FORGOTTEN

  1. frankburkhard

    na gut.
    ich hab hier noch eine dvd „let them eat cake“ und eine „rebecca“.
    das macht drei, vier stunden. danach erschöpftes erkältungsschläfchen, zwei stunden… heiße badewanne… bett… nickerchen… bumm, 21 uhr.
    schaffst du´s bis heute abend?… na ok, heute könnte ich ja noch alte eigene filme zum 80sten mal sehen.
    also morgen. schaffst du´s bis morgen?

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  2. frankburkhard

    jaja. schon gut. wann kannst du mit dem buch hier sein?

    (und entschuldige den tonfall. ich bin krank, mein hals tut weh, aus der verstopften nase fließt es[!] und der kopf dröhnt leise)
    und falls irgendwo noch eine hühnersuppe in der freezerecke friert, nehm ich die auch gleich noch. ach und meine peniccillin gehen zu früh zur neige , die apothekenbürokratin verkauft mir keine weiteren, erst soll ich noch 50 euro für nen überflüssigen arztbesuch bezahlen, hättest du da zufälig noch einen rest atemwegs-antibiotika irgendwo…? anyone? abgelaufene medikamente für arbeitsunfähige fotografen? nee?

    na was solls. dann eben doch ingwertee die nächsten drei wochen.
    aber das buch, das hätt ich wirklich gerne während meiner bettlägerigkeit…
    (im Parkhaus hinterm Haus sind übrigens die ersten zwei Stunden umsonst :-))))))))))

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  3. brittbee

    REPLY:
    klingt wirklich nach ernsthaftem lesebefehl. die fotos haben mich jetzt nochmal mehr bestärkt. ich stehe auf diesen look. wie haben die menschen es damals nur immer geschafft, so sauber und adrett auszusehen? schöner link.

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  4. glamourdick

    REPLY:
    @frankie
    aber ich würde es gern vorher noch zu ende lesen. einstweilen könntest du dich emotional schon einstimmen auf http://www.darewright.com.

    @britt
    damals hat man sich noch mühe mit der fassade gegeben. wenn man die fotos von d.w. in ihrem mini-hotelzimmer sieht, dann riecht man förmlich „joy“ von patou.

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