GLAM IN CHURCH

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„Jeez! It´s been 13 years“, denke ich und betrete die Kirche. Mein letzter Besuch hier – die Taufe meines Patenkindes. Mein jetziger – ihre Konfirmation. Es ist noch leer, die (kann man „Veranstaltung“ sagen?) Veranstaltung beginnt um 9.30 Uhr, aber da mit den Familien von 14 Konfirmanden zu rechnen ist und man selbst schon im Dutzend erschienen ist, da eilt man sich lieber, um den Family Dick-beliebten Platz Seitenschiff links vom Altar zu bekommen und sitzt dann eine halbe Stunde ab, in der man sich Gedanken machen kann über Gott und die Welt. Jede Minute, die ich länger in der Kirche verbringe, sollte sich eigentlich auf mich pressen wie ein zu dicker Liebhaber, aber außer einem leichten Unwohlsein geht´s. Ich hätte besser was gefrühstückt. Aber wenn Gott mich jetzt mit einem Blitz erschlägt, dann ist wenigstens der Magen flach.
Die Kirche füllt sich mit angestrengt Gekleideten mit hässlichen Frisuren. Der Seitenschiffplatz ist wirklich gut, weil man jeden sieht, der den Raum betritt. Ich freue mich immer, wenn ich in L. bin und niemanden erkenne. Es wird voll, aber nicht so voll wie Weihnachten. Ein Bläser-Enesemble stimmt christliche Kompositionen an, der Organist (Down-Syndrom?) klemmt sich hinter die Orgel und die Konfirmanden laufen ein. Die Mädchen sehen aus wie Mädchen halt so aussehen – vielgestaltig. Heute aber feierlich optimiert. Selbst meine Patentochter trägt Make-up, um die paar weniger Pickel abzudecken. Bei den Jungs gibt es zwei Looks: Entweder Harry Potter oder Ron Weasley. Harry ist in der Überzahl.

Ich will nicht zynisch klingen. Es gibt bewegende Momente. Als mein Patenkind sich setzt, schaut es zu mir herüber. Ich lächle sie an, sie lächelt zurück und mit einem Mal bin ich so ergriffen, dass ich heulen könnte. Sie wird erwachsen. Die Veranstaltung beginnt und geht weiter und weiter und weiter. Es werden fromme Lieder gesungen, die sich nicht ganz so bedrohlich anhören wie die in meiner Kindheit. Liegt daran, dass es Kompositionen aus den 70ern des letzten und nicht des 15. Jahrhunderts sind. Aber immer noch reimt sich Brot mehr schlecht als recht auf Lob. („Dem Herrn sei Lob – er gibt uns unser Brot“ oder so.) Wenn sie wenigstens „Danke“ singen würden, dann würde ich mich nicht so komplett antchristisch fühlen, da würde ich sogar mitsummen. Oder „Komm bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum, der Schatten wirft“. Ich lasse jetzt ganz viel aus, weil, dass wollen Sie gar nicht wissen. Reden Predigt Singen Konfirmationsspruchritual. Dann tritt die Gemeinde zum Abendmahl an, immer schön der Sitzplatzreihe nach. Die Zweitpatin, Schwester des Vaters und Tochter eines Pastoren schaut mich panisch an.
„Gehst Du?“
„Nein, ich bleib hier.“
„Aber das ist dann so auffällig, wenn man nicht geht.“
„Die kucken doch eh alle zum Pastor*“
Eine Frau mit fettigen Haaren nimmt die Oblate in den Mund, merkt, dass sie was an der Reihenfolge durcheinandergebracht hat, und tunkt sie dann in den Kelch. Die Mitpatin und ich kräuseln synchron den Nasenrücken und sehen unsere Entscheidung bestätigt.

Irgendwann ist dann, mehrere hundert Stunden später, die Konfirmation beendet. Die Kongregation hat sich mit Oblaten und Traubensaft den Wanst gefüllt, da spart man zu Haus glatt ein Aufbackbrötchen.
Ist Rauchen auf dem Pfarrhof erlaubt? Ich frage nicht und lass es einfach sein. Ich verlängere gerade wieder die Pause zwischen zwei Genusszigaretten. Die anderen, die rauchen, sehen voll asozial aus. Mein Fazit – auf dem Pfarrhof nicht rauchen. Das könnte ich noch im P.S. der Konfirmationskarte an meine Nichte unterbringen. Ich habe ja als Pate einen Erziehungsauftrag, eine etikettäre Verantwortung.

Am Mittagstisch sitze ich wieder neben Patin 2.
„Sag mal K. – wann warst Du das letzte Mal in einer Kirche?“
„Ach, das ist Jahre her.“
Ihr Vater der Pastor lächelt uns bollerig warm an.
„Ich seh die Patenschaft mehr so universal, weniger religiös,“ heuchle ich, mich zu entschuldigen, über den Tisch.
„Glammy tritt jetzt aus der Kirche aus, nun, dass sein Patenkind konfirmiert ist“, berichtet meine Mutter, als lebe sie in einer britischen Komödie.
Glammy errötet, doch der Schwiegerpastor lässt sich die gute Stimmung nicht trüben. Wenn man versucht, sich weiter zu rechtfertigen wird es meist noch schlimmer. Seine Enkelkind hat heute ihren Glauben bestätigt und das ist die Hauptsache.
„Beim Glaubensbekenntnis hatte ich echt ein Problem. So Sätze wie „ich glaube an die Auferstehung der Toten“, das kann ich so nicht sagen. Und ich habe auch vergessen, wer die Gemeinschaft der Heiligen ist. Also sowas hätte man mir im Konfirmandenunterricht beibringen sollen. Was das alles zu sagen hat.“
„Das steht auf jedem Lehrplan für Konfirmandenunterricht“ erklärt der Schwieger-Pastor.
„Dann habe ich´s vergessen. Aber das gilt doch auch für die Kids heute. Die Predigt hat mir gefallen, aber die Kids machen sich ja keine Vorstellung, was das Leben so mit einem anstellt, ca ab 14. Und wenn sie es am eigenen Leib erleben, dann ist das Letzte, woran sie denken, die Rede, die man ihnen am Tag ihrer Konfirmation gehalten hat. Die sind auch viel zu abgelenkt und nervös, um zuzuhören.“ (Tatsächlich gab es eines meiner Lieblingsereignisse aller Lieblingsereignisse neben Lachn mit Weinen gemischt: einen unterdrückten Lachkrampf. Veredelt noch durch den Umstand „wenn es mal besonders feierlich sein soll“).

Wir sparen uns weitere religiöse Gespräche und lassen den Tag frühlingshaft vor sich hinschimmern. Als ich mich am folgenden Tag verabschiede und dem Pastor, der ja als meiner Schwester Schwiegervater seit 14 Jahren Teil der Familie ist, die Hand reiche, nimmt er sie nicht, sonder nimmt mich stattdessen in den Arm. Er klopft mir freundlich auf den Rücken, aber nicht, als wolle er den Antichrist verscheuchen, der zwischen meinen Schulterblättern Residenz bezogen hat, sondern einfach herzlich. Nach all den Jahren wird mir die Schwiegerfamilie symapthisch.

*Tatsächlich gibt es drei davon, (ich denke sofort „Manic Country Preachers“ und „Backyard Priests“) sowie eine Frau des einen Pastoren und noch jemanden, der etwas vorliest und sogar meine Schwester, deren Tochter mein Patenkind ist, hält eine kleine Rede, sehr schön formuliert übrgens – es muss in der Familie liegen.

11 Gedanken zu „GLAM IN CHURCH

  1. luckystrike

    hach, watt schön geschriem!
    und dann noch:
    Jede Minute, die ich länger in der Kirche verbringe, sollte sich eigentlich auf mich pressen wie ein zu dicker Liebhaber

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  2. glamourdick

    REPLY:
    das kind hat glück mit mir. sie hat auch meinen alten ipod bekommen, und ich teile mir mit ihr meine tinkerbell-kette. aber ich habe auch glück mit ihr. ihr kinderjugendzimmer ist mit johnny-depp-als-jack-sparrow-plakaten gepflastert, was ich als eine hommage an meine augenmalereikunst betrachte.

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