DANGEROUS GROUND

„Früher wollte ich ja immer beerdigt werden. Konnte mir eine Verbrennung nicht vorstellen. Aber in den vergangenen Jahren – mir ist doch immer so kalt. Ich weiß ja, dass es Quatsch ist – ich merke es dann ja nicht mehr, aber ich seh mich da unten und es ist so kalt und ich friere. Ich glaube, ich möchte eine Urnenbestattung.“
„Das Grab Deiner Großeltern läuft nächstes Jahr ab. Und, es ist peinlich, aber wir müssen ja mal drüber reden.“
„Meine Mutter fängt an zu weinen. „Nein, es ist nicht peinlich. Es ist notwendig.“
Die Stimme meines Vaters ist zentnerschwer. Ich bin noch restverstrahlt vom Vorabend mit Bomec, und mein Körper ist damit beschäftigt, Substanzen abzubauen, was das Andocken von Serotonin unmöglich macht. Dangerous ground for dramatically realistic topics.
„Ich habe mich erkundigt, wie das Grab belegt werden kann. Zwei Särge und drei Urnen.“
„Und ich will auch, dass wir den Platz behalten, so schön vorne am Friedhof.“
Ja, Toplage. Vorne links. Muss wirklich jeder dran vorbei. Und es ist eine schöne Grabstätte mit zwei großen, sehr erekten schmiedeeisernen Kreuzen. Die Namen seiner Eltern, ihr Geburts- und Todesjahr hat mein Vater selbst in Eisen geschlagen.
„Kannst Du Dir vorstellen, was wir für Tante L.s Beerdigung bezahlt haben? 7000,00 Euro!“
„Der hat uns doch übern Tisch gezogen. L ist ei n Massivholztyp, da hat sie immer Wert drauf gelegt – so ein Quatsch!.“
„Ein Hund. So ein Hund!“
Ich habe mir tatsächlich schon Gedanken gemacht, was geschehen soll, wenn meine Eltern einmal sterben. Gut, dass wir das Thema anschneiden, aber es schnürt mir den Hals zu.
„Und Du Glammy, Du kannst Dir ja überlegen-„
Sie bricht ab.
„Er könnte bei der Rückfahrt am Montag verunglücken. Ist doch so. Wir müssen mal drüber reden.“ Jetzt läuft meinem Vater eine Träne übers Gesicht.
„Und Du hättest dann Platz bei uns im Grab.“
„Dann würden wir Dich heimholen.“

In diesem Jahr bin ich so lange in Berlin, wie ich in dem kleinen Dorf war. Ich habe das Dorf nie vermisst. Meine Familie? Manchmal. Das Dorf – nie. Ich bin ein Elefant. Ich vergesse nicht.
„Aber habt Ihr mal dran gedacht, dass es vielleicht in Berlin auch Menschen gibt. die sich freuen würden, wenn sie mein Grab in der Nähe hätten?“ Also – keine Familie zwar, aber Freunde. Und meine Freunde sind mir schon -„, und jetzt heule auch ich, „schon wie Brüder und Schwestern. Schaut mal, die I. und die A., die kenne ich, seit ich 13 bin. Und das Skailight, Lucky, Frank, die amerikanische Nachbarin, die Lieblingskollegin, die Piratin. Und mein brother from another mother, den ich gerade erst so kurz kenne. Das ist mir eine Familie, das ist anders als bei den Freundschaften hier.“

Am nächsten Tag gehe ich mit meinem Vater über den Friedhof. Es riecht nach Feld und frisch gemähtem Gras. Wir stellen blaue Hortensien auf die Gräber meiner Großeltern und meiner beiden Patenonkel. Das Gras ist noch mit Tau benetzt. Es ist der erste wirklich warme Frühlingstag, auf den Gräbern blüht es, was das Zeug hält. Meine Eltern wollen sich verbrennen lassen, weil sie nicht wollen, dass meine Schwester und ich Unkosten mit ihrem Ableben haben.
Die Sonne scheint durch die Weiden.
„Der war lange nicht so gut in Schuss wie jetzt, der Friedhof“, sagt mein Vater.

Ich sehe mich hier nicht. Ich sehe mich aber auch nicht auf einem Friedhof in Berlin. Ich sehe auch keinen Sinn darin, dreißig Jahre irgendwo geparkt verscharrt zu liegen, um dann Platz für eine andere Leiche zu machen.
Verbrennnt mich. Verschüttet den Großteil meiner Asche in den Dünen von Es Cavallet hinterm Il Chiringuito. Oder überm Schlachtensee. Vermischt die restliche Asche mit einem fetten Haufen Koks. Zieht mich. Dann. Geht tanzen.

13 Gedanken zu „DANGEROUS GROUND

  1. Deef

    Phew. Hard stuff at home.

    Braucht eine moderne Erinnerungskultur überhaupt noch die klassische Grabstein-mit-Stiefmütterchen-Parzelle? Ich würde es vorziehen, wenn Hinterbliebene unsere Blogs online halten. Mit 7000 Euro sind die nächsten 100 Jahre gesichert.

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  2. spango

    schwierig…habe auch schon des öfteren darüber nachgedacht. im grunde ist es schnurz wie und wo man sich bettet, wenn man nicht mehr ist, finde ich. aber wenn, dann da wo man sich auch gerne sah. meine omma putzt die wohnung immer besonders doll, wenn sie sie verlässt. argument: wenn sie stirbt und dann jemand die unordnung sähe… da gefällt mir dein ansatz besser…
    he was also afterwards kind of a pleasure…

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  3. kittykoma

    was gibt es schöneres für ein grab als ein grab auf dem dorffriedhof vorne links?
    grossstadtfriedhöfe sind grauenvoll. und selbst den herzensnahen großstädtern unterstelle ich, daß sie nicht hingehen.
    aber aufm dorf… in bayern kriegt jede tote oma sogar ihr kerzenbeleuchtetes tannenbäumchen. und ich bin immer kurz bei romy vorbeigehuscht. (also wenn wir in berchtesgaden zu weihnachten die tannenbäumchen auf den gräbern der angeheirateten verwandtschaft verteilt haben)
    schon als merkposten für die noch lebenden mitmenschen und ihre nachfahren sollte man demonstrieren, daß dieser ort nicht nur deppen hervorgebracht hat.
    die seele ist ohnehin woanders.

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  4. glamourdick

    REPLY:
    der einzige grund für beerdigung wäre ein wirklich cooler grabsteinspruch. á la dorothy parker
    „Leave for her a red young rose,
    Go your way, and save your pity;
    She is happy, for she knows
    That her dust is very pretty.“
    (epitaph for a darling lady)

    eine freundin sagte mal, es würde aber vermutlich „ablage dick“ draufstehn. deshalb besser nur gedankendenkmäler hinterlassen.

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  5. FrauHausH

    …nach zwei Jahren sind sowohl biologisch abbaubare Urne als auch Asche komplett mineralisiert… Mineralisiert! Ich finde ja das klingt toll, so gesund.
    (Soweit nur noch kurz zum Düngen.)

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  6. brittbee

    herz, du weißt daß ich solche wünsche verdammt ernst nehme und dieser mir befehl ist bis er durch einen anderen ausgetauscht wird. ich mag friedwälder. unter einer dicken fetten rotbuche bitte. am liebsten neben meiner eigenen, neben meinem haus.

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  7. pps

    Mein Vater wollte seine Asche auf unserem Grundstück vergraben haben, an einem Platz den nur seine Frau und seine Kinder kennen. Wir haben das gemacht.
    Meine Mutter möchte ihre Asche in Kenia, dem Ort ihrer glücklichsten Jahre, über dem Rift Valley verstreut haben.
    Meine Grosseltern liessen sich zu Lebzeiten ein imposantes Grabmal errichten, wie es sich für Emporkömmlinge gehört. Ich war ausser an den beiden Beerdigungen nie da und huldigte (musste ich zu ihren Lebzeiten zur Genüge).
    Ich möchte dass mein Kadaver verbrannt und an einem unbekannten Ort entsorgt wird. Niemand, den ich gern habe, soll wissen, wo meine Überreste lagern. Asche ins Wasser, Staub in den Wind – oder ähnlich.
    Es reicht, wenn ein paar Erinnerungssplitter weiter glitzern und flimmern – und daran arbeite ich (Thema: wer möchte nicht geliebt werden?).

    Und dann öffnet jeder seinen Lieblingswein, geniesst ihn und vergisst…. (höre jetzt auf, sonst wird es gar zu schmalzig)

    PS: Herr Glamour haben Sie gehört/-lesen/-merkt, dass dre beste Chansonnier der Schweiz (MvdH) ein neues Album rausgebracht hat?

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