TOYAH TOYAH TOYAH

Früher, lieber junger Leser, liebe junge Leserin, früher kam gute Musik aus England. (Früher kamen auch die besseren Menschen aus Berlin, da war es noch keine Hauptstadt, dies nur am Rande, in beiden Fällen würde ich den Inselstatus verantwortlich machen.) Es gab halt Insel, die musst Du Dir vorstellen wie Eizellen, besonders attraktive Eizellen, und der Rest ist Spermien. David Bowie konnte da gedeihen, auch Gewächse wie KATE BUSH, das wuchs sich dann auch aus in Gestalten wie Boy George, der das Prinzip komplett überstrapazierte und ins Lächerliche zog, so ähnlich wie jetzt bei uns Tokyo Hotel. Die Insel England hatte eine sehr bourgeoise Bevölkerung und schickte ihre Kinder in Internate, was zu viel Arschfickerei unter Heten führte, liebevoll bezeichnet der Brite das als „buggery“ – so ein schönes Wort haben wir gemischgeschlechtlich Aufegwachsenen dafür gar nicht. Wahrscheinlich führte das zu sehr isoliert aufegwachsenen Individuen, die ihre unterdrückte Sexualität nicht in Akne ausdrückten sondern in schier unglaublich waghaftem Expressionismus. Diese ganzen Mädchen mit Sehnsucht verwandelten sich in Lord Byron, KATE BUSH, Siouxsie, Robert Smith, Boy George, David Bowie, Oscar Wilde und Prinz Edward, der genau so hieß, wie mein erster Boyfriend, selbstverständlich bisexuell und Brite. Paradiesblumen, die Tee tranken und Instrumente spielen konnten. Es gab diese großen Blumen und dann wuchsen auch noch kleinere Blümchen am Wegesrand, die mit viel Fantasie, einer Menge Haarspray, Gaffer Tape und Sprühkleber sich selbst inszenierten. Hayzee Fantayzee anyone?

Eines der Wegesrand Blümelein hörte auf den Namen Toyah Willcox. Nicht einmal Wikipedia weiß, ob dieser Name der Fantasie ihrer Eltern entsprungen ist, oder ob Toyah eigentlich offiziell ganz anders beispielsweis Eleonoara, Berneice odet Suzy heißt. Toyah jedenfalls war ein Mädchen, das mit unbändiger Energie, britischer Hysterie und unglaublich dichtem strapazierfähigem Haar ein paar wenige Charterfolge feiern konnte. 1982 gewann sie sogar den BRIT-Award als beste Sängerin. Ähnlich wie Lene Lovich war ihre Chartkarriere nicht besonders langwierig. Da Hysterie auch nur eine Abwandlung von Glamour ist, verfiel ihr Glam schon früh und verfolgte ihre Karriere noch Jahre später, als sie eigentlich nicht mehr stattfand. Glam ist so der Traumfan jedes Künstlers, denn er bleibt loyal, bis auf weiteres. Und so kam es, dass er sich Ende der 80er das Vinyl-Meisterwerk „Prostitute“ kaufte, am selben Abend ins damalige Quartier Latin (heute Wintergarten Varieté, damals schrabbeliger Musikschuppen) ging und Toyah live sah. Mehr Energie ging kaum. Sie zippelte, zappelte und zog sich die Noten aus dem Raum, es war eine wuchtige Pracht und sie trug den schönsten Stufenschnitt des Jahrtausends, es war eines dieser Konzerte, aus denen man herausgeht, als habe jemand einem das Getriebe frisch aufgezogen, enchantiert, enthusiasmiert, gefloort, gehoben und geglamt. Die sperrige, perverse, hormonell absurde „Prostitute“ noch heute tagelang nonstop hörend, sie steht auf dem gleichen Level wie Nina Hagens „Nunsexmonkrock“, entdeckte ich nun kürzlich den gestern gepoststen Clip zu „Sensational“ und erstand „In the Court of the Crimson Queen“. Und freue mich, dass diese durchgeknallte 50jährige noch den Schlüssel zu ihrem Make-Up-Container am Bund hat, ihre Stimme eigen, gesund und getrieben geblieben ist und sie es in die Itunes-Ära geschafft hat. „An antidote to Madonna“ hatte man damals über „Prostitute“ geschrieben. Und das gilt heute auch noch. Toyah hat es in sich. Und das ist ja zwangsläufig, bei fast allen Menschen mit Sinn für Abenteuer, Ausdruck und Kopfbedeckungen.

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