HUT AB!

Wahre Geschichten sind sowieso meist die Besten, was daran liegt, dass die Realität oft übertreibt und die Wahrheit theatralischer ist als ein Drama. So sah das wohl auch Clint Eastwood, als er von dieser Geschichte hörte. 20er Jahre, Los Angeles, Walter Collins, neunjähriger Sohn der alleinerziehenden Telefonistin Christine Collins verschwindet spurlos. Der Polizei gelingt es nicht, den Jungen ausfindig zu machen. Erst nach einem halben Jahr sind sie erfolgreich und bringen den Jungen zu seiner Mutter zurück. Nur, dass es sich offenbar gar nicht um ihr Kind handelt. Die Polizei unterstellt ihr Überanstrenung. „Probieren sie ihn doch ein paar Tage aus!“.

Unter dieser Prämisse entfaltet sich die Geschichte eines ungleichen Kampfes – die Telefonistin gegen den Polizeichef. Die Polizei will es nicht wahrhaben, dass eine Frau die Presse aufhetzt und auf einen so groben wie peinlichen Fehler hinweist, kurzerhand steckt man sie in die Psychiatrie.

Die Geschichte nimmt noch einige Wendungen und präsentiert noch einen äußerst unangenehmen Parallelstrang: während Mrs Collins in der Psychiatrie „verarztet“ wird, deckt die Polizei eine Mordserie an jungen Knaben in Walters Alter auf. Mehr will ich jetzt nicht verraten, falls Sie sich den Film nach der Lektüre dieses Beitrags doch noch anschauen wollen.

Das erste was beim Betrachten auffällt, sind die angestrengten Sepiatöne. Eastwoods LA der 20er sieht aus wie eine vergilbte Postkarte, damit man bloß nicht vergisst, dass man sich in der Vergangenheit befindet. Ausstattung, sowohl Kostüm wie auch Set sind ebenfalls sehr angestrengt dabei, das Zeitgefühl herzustellen. Von alten Frauen, die die 20er erlebt haben weiß ich, dass sie ungern ihre Kapott-Hüte abgenommen haben, aber Angelina Jolie scheint mit dem ihren förmlich verwachsen zu sein, so dass es fast brutal ist, sie in der Elektroschock-Szene einmal ohne zu sehen. Vermutlich erfüllte der Kapotthut die Funktion, ihre Bob-Perücke feste an den Kopf zu schmiegen, das unter der Perücke befindliche lange Echthaar trägt ja auf. Außerdem macht der Kapotthut einen wirklich sinnlichen Weichzeichner-Schatten, als quasi einen Lidschatten aus Echtschatten. Angelina zeigt uns Mrs Collins in zwei Nuancen: leidende Mutter, entschlossene Rächerin. Zum Ende des Films lacht sie einmal und man erschrickt ganz fürchterlich, nach 2 1/2 Stunden sich ausdauernd flächig ausbreitenden sepiagetönten Elends der Mrs Collins, der Polizei-Korruption, der Reichen-gegen-die-Armen, der bösen Psychiatrie, des Amerikalandes eben dem Clint Easwood mit diesem Schinken ein Denkmal setzen möchte. Detalliert und korrekt. Und so ist „The Changeling“ eine in Werbeästhetik aufgemotzte Geschichtsstunde, ein Spielfilm, der in einer Mini-Serie besser aufgehoben worden wäre, da die Geschichten und die diversen Perspektiven zuviel Raum einnehmen, um einen Film, selbst in 2 1/2 Stunden rund zu machen.

Einen packenden Kriminalfall kaputt zu erzählen ist Brian de Palma mit „The Black Dahlia“ gelungen. Eastwoods „Changeling“ ist keinesweg so schlecht wie die Verfilmung dieser anderen LA-Story, die sich rund 15 Jahre später zugetragen hat. Man folgt der Handlung gebannt, wird sich aber doch sehr bewusst, wieviel Zeit währenddessen vergeht. Und beim Betrachten dieser Sepiabilder fällt mir immer wieder auf, dass dieser Film mich nicht mitnimmt. Er nimmt mich nicht an Bord, sondern lässt mich draußen stehen. Selbst der Wiki-Artikel ist packender erzählt.

Klassisches Hauptrollen-Oscar-Nominierungs-aber-doch-nicht-Gewinnen-Kino.

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