STROBO meets TAGEBUCH EINER VERLORENEN

Erst am Spätnachmittag fängt der Tag an in die richtige Richtung zu kippen. Zunächst waren da nur bad news. Um nur eine zu nennen: Meine von der Mitbewohnerin zerstörte Waechtersbach wird nicht mehr hergestellt. Waechtersbach. Meine. Goldene. Sie sei nicht so gut beim Geschirrspülen, reicht die Mitbewohnerin mir den Versuch einer Entschuldigung entgegen, zu Hause habe sie schließlich einen Geschirrspüler. Dafür möchte ich ihr eine aufs Maul haben, aber der Tag ist kurz, die Liste der Aufgaben lang. Kurz bevor ich den gerade geschenkt bekommenen schwarzglitzernden Lidschatten auftrage (mit dem Geschenk begann die Wendung des Tages zum Guten) checke ich meine Mails. Faerie-Brother. Ob ich nicht Lust hätte, am Wochenende nach Genf zu kommen. Und wie! Und vor allem und wie? Gut, dass ich die Mail erst so spät am Tag lese, 4 Stunden früher und ich hätte alle Hebel in Bewegung gesetzt, nur um dann am Flughafen festzustellen, dass mein Reisepass abgelaufen ist, der ja, wenn ich mich recht erinnere, für einen Trip in die Schweiz erforderlich ist.

Also schmeiß ich meine Taschen in den Kofferraum und steige düster glitzernd in den Wagen. Die Reise geht nicht nach Tegel sondern in die Klosterstraße ins WMF. Es ist viertel vor 8, die ersten Menschen, die ich treffe, sind die netten Menschen vom Blumenbar-Velag, die den Abend ausrichten. Eine kurze Lesung aus Texten von Hunter S. Thompson, dann Deefs Strobo-Show und zum Abschluss Tom Schilling mit Passagen aus dem neuen Roman „I am Airen Man“. Als nächster kommt Frankie, schön wie immer und wir trinken Bier und rauchen während sich der Raum füllt und füllt und füllt. Es ist knackevoll, ohne dass man Beklemmung verspürt. Eine schöne Frau nach der nächsten arrives on the scene. Sarah P. freut sich und strahlt, meine Agentin sieht aus wie Louise Brooks und bekommt nicht mit, dass ich ihr gerade Airen vorgestellt habe, was ich erst spät am Abend erfahre, als sie mir beim Abschied sagt, dass sie ihn so gerne getroffen hätte. Julia und Vivi, die ich erst vor kurzem und auch nur Dank des ganzen Strobo-Trubels kennengelernt habe. Dann freue ich mich über Frau Ruhepuls und endlich lerne ich auch Herrn Nack kennen. Ich bewege mich durch den Raum und sehe freundliche interessierte Gesichter. Tom Schilling läuft mir mit dem ersten Exemplar des „Airen“-Romans über den Weg und zeigt mir die Danksagung, in der ich zu meiner Freude gleich doppelt erwähnt bin – bürgerlich und mit Blognamen. Aufgrund einschlägiger Erfahrung (mit dem Buchmatkt, nicht mit literarischen Skandalen) hatte ich Airen in den holprigen Wochen unterstützt, was die Auswahl von Verlagen und den Abschluss von Verträgen anging. Jemand mit Entscheidungsgewalt gibt Tom und mir einen Jägermeister aus, dann mache ich Foto von Airens Frau vor Airens Plakat, auf dem die Buchstaben tanzen, wenn man zu lesen versucht. Während der Thompson-Lesung bin ich zu gespannt, um viel aufzunehmen. Wir tigern herum, panthern vielleicht, zwischen dem Lesungsraum, der Bar, den Verlagsräumen, die im gleichen Gebäude sind. Dann übernimmt Deef. Sein Vortrag ist genial verpackt – die Visuals und die sehr passend gewählte Musik fassen einen ganz an und ermöglichen eine Aufmerksamkeit, wie sie bei einer normalen Lesung nicht möglich ist. Trotzdem kann ich mich nicht wirklich konzentrieren und panthere von Gespräch zu Gespräch. Drogenthemen. Immer wieder höre ich den Namen Bomec – von der Bühne und in den Gesprächen. Er ist zwar physisch nicht präsent, aber präsent dennoch. In seiner organfarbenen Jacke ist Airen gut sichtbar, auch er flitzt durch die Räume, von Gespräch zu Gespräch, enthusiastisch darüber, dass sein literarischer Held Rainald Götz anwesend ist.
Angesichts der Tatsache, dass wir eigentlich drei Lesungen auf dem Programm haben ist Deefs Show etwas zu lang. Nach einer kurzen Pause tritt Tom Schilling auf – keine Lightshow, keine Leinwand, keine Musik. Er sitzt seitlich im Zuschauerraum, nur von einem Spot angestrahlt. Und liest. „I am Airen Man“. Und man nimmt es ihm ab. Spätestens beim dritten Text ist er angekommen. Seine Stimme und Airens Worte, das ist Hand in glove. Two steps on the water and not drowning. Walking. Die Bilder von Mexico ertstehen in voller Technicolor-Farbpracht. Da sitzt dieser junge Mensch und man wünscht sich, dass er die Hauptrolle in der Verfilmung von „Strobo“ spielen wird, eines Tages.

Als man beginnt, Mezqual auszugeben, packe ich mich in meinen Mantel und fahre heim. Zu Hause trinke ich einen Rotwein und schaue mir „Das Tagebuch einer Verlorenen“ an. Da gibt es eine Szene in der Erziehungsanstalt, in der Louise Brooks, die die ganze Zeit mit den anderen Schauspielern agiert und dennoch wie in den Film hineingeklebt wirkt, so unsagbar schön ist sie, so krass normal und schlicht menschlich wirken die anderen Darsteller dagegen, in der Louise Brooks jedenfalls von der bösen Heimleiterin ihr Tagebuch weggenommen wird. Die anderen Mädchen entreißen es ihr, werfen es sich untereinander zu, bis sie die Heimleiterin im Griff haben. Das Buch fliegt, wird gefangen, die Heimleiterin greift danach, weiter fliegt es. Schließlich gelingt Louise mitsamt Tagebuch die Flucht, während die Schülerinnen die Heimleiterin verprügeln – zum Schlage des Gongs, mit dem sie zuvor das Leben der Mädchen reglementiert hatte.


(Ca. ab der 5. Minute)

Mit diesen Bildern, die lyrischer nicht illustrieren könnten, was sich in den vergangenen Wochen zugetragen hat, beschließe ich den Tag und diesen Eintrag. Alles Gute, Louise Brooks, alles Gute Airen, alles Gute Tom Schilling.

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