TRANSIT EUROPA TANGO

Die Autobahn entlang wechselt das Wetter im gleichen Maße wie meine Stimmung. Berliner Winter, graues Licht, Nieselregen, Schmutzwasser, das von den Autos vor mir aufgewirbelt wird. Dann streckenweise gleißendster Sonnenschein, so dass man die matschbraunen Felder in aller Deutlichkeit zu sehen bekommt. Dass Gott sich nicht schämt. Schon längst. Er hätte sich wirklich ein bisschen mehr Mühe geben können. Die Seen sind mit einer dünnen, blassgrauen Eisschicht bedeckt, vereinzelt liegt noch Schnee. Die Strecke ist erstaunlich leer, Samstag Mittag – die meisten Wochenendler haben sich den Freitags-nach-dem-Büro-Stress angetan. Schlauere Menschen haben sich mit ein paar Fernsehserien-Staffeln auf´s Sofa verzogen. Serien gehen bei mir gerade nicht. Mein Hirn ist schon voll genug. Stummfilme gehen. Ich mache sogar die meist alberne Musik aus und sehe erstmals, was der Regisseur vermutlich beabsichtig hatte – eine Geschichte kraft ihrer Bilder vermitteln. Musik ist nur ein Verständnisverstärker für diejenigen, die für Bilder allein zu dumm sind. Bei Pabst jedenfalls. Selbst die Tafeln mit den Dialogfetzen und Zwischenbemerkungen könnte man entbehren.

In meinen Ohren klingt ein vom Ipod vorgegebener Beruhigungscocktail. Marianne Faithfull, Kate Bush, The Lilac fucking Time, Ingrid Caven. Ein paar Lieder treiben mir Tränen in die Augen – ich bin nicht wirklich zum Ausleben von Emotionen gekommen, es hat gerade mal zum Formulieren derselben gereicht, aber ein Schritt, immerhin. Und keine Träne fällt und die Reste des hartnäckigen Kajals vom Vorabend und einige Glitzerpartkel aus dem geschenkten Lidschatten bleiben am Platz. Von meinen Lidern rinnt keine schwarze Tusche. (Georgette hatte immer „Lieder“ verstanden, was eigentlich mindestens genau so schön ist.)

Junge Männer und schöne Frauen haben in meinem Leben ein paar Gleise umgestellt. Ich saß bei einer Verfolgungsjagd auf dem Beifahrersitz, und es muss sich um eine Rennstrecke gehandelt haben, denn irgendwann war nicht mehr eindeutig, wer wen verfolgt, wir fuhren im Kreis, und es war egal, ob jemand die Runden zählte, was zählte war, auf der Spur zu bleiben. Dass uns das gelungen ist, war eine Feier wert, und sie wurde schön. Es gab viele unterschiedliche Arten von Umarmungen an diesem Abend. Erste Umarmungen, dankbare Umarmungen, erlöstes sich-in-die-Arme-fallen, good-bye-und-bis-bald-Küsschen-Umarmungen. On se téléphonera.

Und dann, in einer Parallelwelt, das Geschenk in Gestalt eines Überraschungsbesuches. Kein Autorennen sondern ein Speedboat-Trip ins Außergewöhnliche, jemand, der einen mitnimmt nach Neverneverland. Wo wir alle nicht altern und die Feen immer nur Zeit für ein Gefühl gleichzeitig haben. Einige sehr komplizierte, sehr schmackhafte Cocktails im Last-Chance-Saloon. Zwei Körper in einer Form von Hingabe, die an den Rand des Auflösens ging. Ich habe ein heimliches Foto gemacht, das ihn schlafend zeigt, im rosa Licht, in weiche Felle gewickelt. In meinem Kopf gibt es noch viel mehr Schnappschüsse, Emo-Polaroids, weiches Licht, sanfte Farben. Aber auch eines im gleißenden Morgenlicht, der erste Tag im Jahr, an dem die aufgehende Sonne das Schlafzimmer aufheizt, in dem zwei Männer fast gleichzeitig eine weiße Flüssigkeit produzieren und aufeinander niederregnen lassen. Maintenant, dansons la fin de ce tango. Et repartons seul a zero. Doch eines Tages, da werden wir uns wiedersehen, nur so, comme ca, zufällig, cosi, zufällig in einer Stadt im Hotel an der Bar. Bestimmt hast Du AIDS. „Hallo wie geht´s“ sagst Du zu mir. Ich werde sagen „Danke. und wie geht es Dir?“

Du wirst sagen „Zu blöd. Das ist ja wie in einem Lied“.

(Tex unter Verwendung von Jean Jacques Schuhls „Trans-Europa-Tango“ und „American Bar“ .)

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