DARWINISM begins at school

Zu Hause bleiben ist vielleicht auch nicht die Lösung, aber einen Tag ohne Konfrontation und Trigger habe ich mir gegönnt. Nach jedem solchen Tag wird die Vorstellung, sich wieder draußen zu bewegen schlimmer. Aber siehe oben. Kino war eigentlich der Plan, vielleicht ein Schritt zu weit, andererseits kommt morgen früh als erstes Wartezimmer – früher eines meiner schlimmsten Panikszenarien, und vorhin, als mir der Arzttermin einfiel, ging es sofort los mit Zittern.

Vielleicht sollte ich auch die Berichterstattung über Gay-bullying und bashing nicht weiter verfolgen, aber ich habe das Gefühl, ich muss. Ich bin da an der Wurzel meines Problems. Zwischen meiner ersten Panikattacke (nicht zu verwechseln mit der ständigen Angst zwischen 12 und 18) und dem Entschluss mich in Behandlung zu begeben, habe ich 15 Jahre verstreichen lassen. Soweit lasse ich es nicht mehr kommen. Warum der Rückfall? Midlife, life. Einbruch der Sicherheitszone. Es kommt gerade wirklich alles zusammen. In Marilyns Aufzeichnungen lese ich auch nur einen einzigen markerschütternden Hilfeschrei. Ein Kind, das auf sich allein gestellt ist. Und auch im Freundeskreis ein Mensch einer ganz anderen Generation, der zu einem gewissen Zeitpunkt keinen Ausweg mehr sah. Es ist keine Epidemie, es ist ein Dauerzustand, und alle stehen ratlos da und schauen zu oder weg. Nein, keine Angst, ich bin nicht suizidal, das Gott sei Dank nicht.

Zum ersten Mal ziehe ich ernsthaft Psychopharmaka in Erwägung, weil die Häufung der Attacken mir das Leben in einem Maße erschwert, die andere zum Anlass für eine Krankschreibung nehmen würden. Aber ich brauche diese Normalität eines Büros, mich jetzt noch weiter zurück zu ziehen wäre falsch. Noch eine Reha? No fucking way. Ich hoffe auf Heidi.

Gestern war nur Emotion freien Lauf lassen, das erste Heulen beim Telefonieren mit der Mutter, die vom Neffen berichtet, der auch gerade in einer Außenseiterposition steht und erste Erfahrung mit Mobbing macht. Dann unter der Dusche. I´m quite a piece of work these days, und es tut mir Leid, aber stellen Sie sich vor, Ihnen würde das passieren, und Sie könnten nicht einfach davon nach Hause gehen, sondern schleppten es immer mit sich rum, Hilfe in Sicht, aber noch nicht da. Marilyn lesen, Musik hören. Helden und Cyndi und Bernadette. Auf der We give a damn Seite gelesen. Putzen, Steuer, Wäsche waschen. Zu viel geraucht, zu viel getrunken. Mir was Gutes tun wollend, die dritte Glee-Folge angeschaut. Da bekam ich genau das, was ich mir letzte Woche so gewünscht hatte – große Gefühle, großes Drama, die Folge für die Chris Colfer für den Emmy nominiert werden wird. Aber es war kaum der Tag für Großes Drama, das letzte was ich brauchte war Burt Hummel im Koma und Kurt in Tränen.

Ich nehme es niemandem übel, der sich zurückzieht, man kann nur so und soviel tragen, und wir sind alle für unsere eigene Stabilität verantwortlich. Ich arbeite dran. Unüberraschenderweise – schon das Aufschreiben hilft.

Der Autopilot ist ausgefallen, und da sitzt man dann auf einmal mit den ganzen Schaltern und Tabellen und Anzeigen und fragt sich „Wie ging das noch gleich?“

Ist es nicht bizarr, dass die schlimmsten Verbrechen, solche, die Dein ganzes Leben prägen, ausgerechnet von Menschen begangen werden, die man nicht dafür belangten kann? Kinder. Kinder treiben Kinder in den Tod. Mein Basher wurde übrigens kürzlich polizeilich gesucht. Er prügelt seine Alte.

10 Gedanken zu „DARWINISM begins at school

  1. walküre

    Ich – als nicht sonderlich christliches, nicht sonderlich hübsches, dickes und für die anderen unangenehm intelligentes Kind in einem inzestuösen und mit zum Kotzen bigotten Bewohnern ausgestatteten Kaff in der Pampa aufgewachsen und in einem etwas größeren Dorf, welches sich Bezirkshauptstadt nennen durfte, aber ansonsten keinen Deut besser war als das Wohnkaff, zur Schule gegangen und deshalb mit so ziemlich allem, was Außenseitern zu widerfahren pflegt, vertraut – kann Ihre Gefühle gut nachvollziehen.

    Und das Leben ist im Endeffekt gerecht. Diejenigen, die sich am meisten hervorgetan haben, wenn es darum ging, mich zu mobben, sind heute ausnahmslos das, was man als gescheiterte Existenzen (aus eigenem Verschulden, wohlgemerkt) bezeichnet.

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  2. raketenprinz

    psychopharmaka helfen. sie sind zwar übel beleumundet, aber weder machen sie stumpf, noch sind sie fluchthelfer vor den dingen, denen man sich stellen muss. sie nehmen das drama raus, nicht komplett, aber auf ein maß, dass man nicht gefühlte 120% seiner energie nur dazu verwendet, um halbwegs zu funktionieren.

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  3. engl

    ach, glam. auch ich gehe meine runden, zum teil schon seit jahrzehnten. rückfall oder wiederholung, wie auch immer. man kennt es, erkennt es nach einer weile. ich rede nicht viel darüber, ich schreibe kaum öffentliches dazu. aber eines kann ich inzwischen sagen, es wird mit jedem mal klarer, vielleicht sogar leichter. letztendlich ist leben veränderung. und es – was immer es ist – liegt eben auf dem weg.

    dir eine gute strecke, trotz allem.

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  4. glamourdick

    REPLY:
    es ist natürlich kein schwules problem, da stimme ich Ihnen zu. es sind hate crimes, die sich gegen alle richten, die nicht der noch so bekloppten norm entsprechen.

    normalerweise laufe ich ja auch stolz durch mein leben, aber, wenn einem etwas so unwillkürlich den boden unter den füßen wegzieht und man sich (wieder) als opfer sieht, da interessiert mich in dem moment der täter nicht. mit einer attacke ist man ne gute halbe stunde beschäftig, physisch. dann danach die scham, albern, aber verwurzelt, die blöden gefühle, die hochkommen.

    gott sei dank habe ich eine sehr gutes netz, friends you can call at 4 am, um es mit marlene zu sagen. und – und das obwohl ich zögerte, einen so weinerlichen text zu veröffentlichen – es gab auch ein email-feedback mit sehr guten vorschlägen und anregungen, also war es richtig, den text zu bringen, because, as we know – it´s the things that make us feel ashamed that make us interesting.

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  5. glamourdick

    REPLY:
    thanks, engl. ich hab drüber geschrieben, weil ich ja eh über alles schreibe. und weil tabus und scham und angst oft so wenig sinn machen und doch eine so große macht haben.

    für die „fear of fear“ ist meine strategie jetzt die komplette offenheit. ab morgen, wo ich beim arzt anrufen werde und die sprechstundenhilfe vorwarnen, dass ich möglicherweise in der mitte einer panikattacke sein werde, wenn ich die praxis betrete. wenn das dazu führt, dass ich keine bekomme – um so besser.

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  6. kittykoma

    oh je. Chemie kann wirklich helfen, bevor man ganz auf den Hund gekommen ist.
    das scheinen bei ihnen derzeit zu viele ritte auf scharfen klingen zu sein. (es kommt, wie es kommt, ich weiß)
    wenn ich helfen kann – ich bin da.

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  7. FrauHausH

    Lieber Herr Glam,

    tief durchatmen. Und immer so weit weiter gehen, wie es gerade eben geht…
    Ich lese gerade ein Buch: Arno Gruen „Der Fremde in uns.“.
    Darin steht (grob): Die Dummen richten die Gewalt nach außen, die Intelligenten gegen sich selbst. Nicht, dass das einem helfen würde, aber irgendwie finde ich es trotzdem sympathischer!

    Good luck!

    Frau H.

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