1985/2012

Sitze in meinem ehemaligen Kinderzimmer, wo ich 1985 erstmals „Running up that Hill“ gehört habe, damals auf Vinyl auf einer Anlage, die ich mir vermutlich vom Konfirmationsgeld geleistet habe. Heute kommt dasselbe Lied aus einer kleinen Kiste, die in einer Art magentafarbenem Knochen steckt und in der kleinen Kiste wohnen noch tausende andere Lieder. Hätte ich damals nicht gedacht, dass es so eine Technologie einmal geben würde und macht mir Hoffnung, zu Lebzeiten noch per Teletransportation reisen zu können. (Die Reisemusik kommt dann vermutlich aus einer Wolke.) Noch ne Klammer: (Schellack ist auch noch im Familienbesitz, aber das dazugehörige Gerät ebenso funktionsunfähig wie der Vinyl-Schallplattenspieler.)

Und was hat Rainer Maria zur Geburt der Musik zu sagen?

Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.

(Ebenfalls aus der ersten Duineser. Musik entstand demnach aus der Klage um den Verlust eines Halbgottes. Trost spendet hier Ralph-Waldo: „Heartily know, when Half-Gods go – the Gods arrive.“ Das hat mir auch schon über so manche Durststrecke geholfen. Derweil singt Judith auf der ODP-Playlist „Lonely planet, lonely planet – oh this is lonely planet Germany“. Und wenn nicht Neo Barock mein nächster Künstlername wäre, dann Ralph-Waldo-Maria Rilke-Emerson.)

5 Gedanken zu „1985/2012

  1. SkurrileWaage

    Mein lieber Herr Dick,

    bei Schellack werde ich ja gelegentlich hellhörig. Ich verfüge über einige Abspielgeräte, die das Grammophonfutter sogar bis in Ihre kleine Kiste bringen können. Nun wäre es ein wenig übertrieben, Schellack und Gerät zueinander zu bringen, aber mit ein wenig Glück finden sich die großelterlichen Aufnahmen als Schellack, LP oder CD bereits in meiner Sammlung?

    Wenn Sie ein paar Titel, Interpreten und Herstellerfirmen nennen möchten, ließe sich die Musik quasi doppelt virtuell zu Ihnen bringen.

    Herzlichst,
    die skurrile Waage

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  2. Hans Hütt

    „Übrigens hatte Abelone ein Gutes: sie sang. Das heißt, es gab Zeiten, wo sie sang. Es war eine starke, unbeirrbare Musik in ihr. Wenn es wahr ist, daß die Engel männlich sind, so kann man wohl sagen, daß etwas Männliches in ihrer Stimme war: eine strahlende, himmlische Männlichkeit. Ich, der ich schon als Kind der Musik gegenüber so mißtrauisch war (nicht, weil sie mich stärker als alles forthob aus mir, sondern, weil ich gemerkt hatte, daß sie mich nicht wieder dort ablegte, wo sie mich gefunden hatte, sondern tiefer, irgendwo ganz ins Unfertige hinein), ich ertrug diese Musik, auf der man aufrecht aufwärtssteigen konnte, höher und höher, bis man meinte, dies müßte ungefähr schon der Himmel sein seit einer Weile.“

    Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

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  3. glamourdick

    REPLY:
    der malte. zu dem meine werte-und-normen-lehrerin einmal sagte „na, wer kennt wohl den ersten satz aus rilkes buch? wahrscheinlich nur herr dick.“ und so war’s. ich krieg ihn nicht mehr ganz zusammen, aber der zweite teil geht „man sollte meine es stürbe sich hier“ oder so ähnlich. zwanzig jahre später schrieb sie mir, dass ihr unterricht ohnehin nur einen adressaten hatte. guess who.

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  4. glamourdick

    REPLY:
    verehrte waage, das ist ganz löblich, aber der musikgeschmack meiner großeltern war etwas bollerig. einziger gemeinsamer nenner waren vielleicht die berliner schlager der 20er und da hab ich den klassiker von marlene im pod.

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  5. SkurrileWaage

    REPLY:
    Meiner ja auch, obwohl ich ihn bisher nicht als „bollerig“ bezeichnet habe. Wird mir künftig ausschweifende Umschreibungen ersparen.

    Dann bitte ich im Namen nachfolgender Generationen von Boller-Waagen nur darum: SchmeißenSese nicht weg, auch wenn sie derzeit nutzlos umeinander liegen!

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