MARILYN IN LONDON – DIE FAST VERGESSENE REISE

Hinter Marilyn geht die Sonne unter. Der Horizont hinter ihr teilt ihr Gesicht. Die rechte Hand hat sie an einem der Zöpfe der nicht besonders aufwendig gearbeiteten Perücke, die sie in „The Misfits“ nun mal trug. Ihr Blick ist traurig, mehr als traurig. Ungläubig, vor allem verängstigt, verstört, als habe sie eine Vorahnung, was die nächsten zwei Jahre bringen sollen: Zerschmetterte Herzen und unekstatische Pillen/Champagner/Vodka-Exzesse, eine Karriere, die pressetauglich aufs Eis inszeniert wird und der vollständige Zusammenbruch. Besoffen an fremden Swimming Pools mit Menstruationsblut auf dem Bademantel. Tod.
Ich stehe vor diesem Foto, es ist 1987 und die Knoedler Gallery in London veranstaltet anlässlich des Book-Releases von „Marilyn: An Appreciation“ eine Ausstellung der Magnum-Fotografin Eve Arnold. Ich bin in meinem letzten Teenage-Jahr, ein emotionaler Androgyn, der schon den Kontakt zu dem Kind verloren hat, das er einmal war und noch nicht weiß, was aus ihm im Erwachsenenalter werden soll. Geplant ist erstmal eine Lebens-Laufbahn von 36 Jahren. Ohnehin ist alles was jenseits der 25 liegt unvorstellbar alt.
Ein anderes Farbfoto zeigt Marilyn an einer Hauswand lehnend, in dem weißen Kleid mit den Technicolor-roten Kirschen, die man in „Misfits“ nur erahnen kann, ist ja ein Schwarzweißfilm. Ihre Hände sind auf Geschlechtshöhe verschränkt, der Kopf ist leicht geneigt und Augen und Mund sind geschlossen. Lämmer und Schlachtbänke. Sie sieht vor ihrem inneren Auge die Ehe mit Amerikas berühmtesten Dramatiker Arthur Miller scheitern, im Grunde ist schon alles vorbei, man bleibt nur zusammen um irgendwie dieses Machwerk von Film hinter sich zu bringen, das er ihr nach mehrjährigem Writer´s block (it´s not easy being the codependent of a Hollywood-Goddess) runtergekritzelt hat. So sieht sie das. Eine üble Parabel auf ihr Leben als Nutte des Ruhms und eine Heiligsprechung des letzten Amerikanischen Mannes. Dem bricht die Nutte das Herz und das Rückgrat und sie steigt in seinen Pick-up-Truck. Äußert den Wunsch, dass doch irgendwann einmal auf der Welt ein Kind geboren werden müsste, das ohne Angst aufwächst. Unwahrscheinlich, sehr unwahrscheinlich. Kaputte Romantik, der Tod der Ironie vorweggenommen.
Nach der Ausstellung treffe ich Edward. Meine erste große Liebe. Ich habe ihn zwei Jahre nicht gesehen und in dieser Zeit nicht aus dem System gekriegt. Zwei Jahre unglücklich verliebt sein geht vielleicht wirklich nur im Alter zwischen 17 und 19. Danach verhält es sich wie mit Frivolität bei Senioren – a big No No. Edward ist ohne Obdach und mit seiner Freundin Sarah unterwegs. Sie trägt eine Tasche wie die von Mary Poppins. Mein Herz, schon ziemlich angeknackst von zwei Jahren Sehnen bricht wie ein rohes Ei auf Küchenkacheln (Danke, Douglas Coupland.). Im Criterion am Piccadilly Circus sehe ich eine Frau in einem Tippi-Hedren-Kostüm. Eine halbe Stunde später auf dem Piccadilly Circus rennt diese Frau vor zwei Polizisten weg. Sie stürzt. Sie ist tot.

Erst als ich London einige Jahre später das nächste Mal besuchte, kam ich wieder mit Edward zusammen. Madonna sang „Open your heart“ und „Express yourself“ und das taten wir. Als wir nach 5jähriger Pause endlich wieder Sex hatten, riss ich mit meinem Fuß ein ziemlich beladenes Regal um. (Bei unserem allerersten Sex war ein Bett zu Bruch gegangen).
London ist für mich immer das Sinnbild auswegloser, außer sich geratener Gefühle geblieben. Ich war jetzt mehr als zehn Jahre nicht da und verspüre auch keinerlei Lust. Es sei denn, Kate Bush tritt auf. Und, ja – natürlich würde ich mich dort mit Edward treffen, aber es wird nichts laufen. Versprochen.
misfits

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