CHRISTSTOLLEN/JESUSLATSCHEN

Ich will mich nicht darüber beklagen, dass seit einigen Wochen wieder Weihnachtsgebäck die Dekotische der Supermärkte dominiert. (Dominosteine wollen dominieren, es steckt ihnen im Zucker.) Ist mir schlichtweg egal – ich kaufe keine Süßigkeiten. Aber gestern konfrontierte mich Ray mit einem Gebäckstück, das er sich nicht traute, mir anzubieten, weil es sich a) um Christstollen handelte und dieser b) noch den Schlecker-Aufkleber trug. Was Ray nicht weiß ist, dass ich Christstollen c) schon allein des spröden Geschmacks und der staubigen Konsistenz wegen überhaupt nicht mag. ein Gebäckstück, das ohne ausgewiesene Konservierungsstoffe die Regierungszeit Bushs übersteht, muss vom Teufel sein. Trotzdem nahm ich den plastikverpackten zur Hand und betrachtete die Produktbezeichnung. Nicht „Christstollen“ stand da, nein, es hieß „Marzipanstollen“. Dann fiel mir eine ferne graue Zeit ein, zu der meine Familie Care-Pakete aus dem OSTEN* bekommen hatte (ich gehe jetzt nicht näher darauf ein, was das für Schamgefühle auslöste, wir bekamen die Pakete jedenfalls nicht aus wirtschaftlicher Not). In jenen Paketen ruhten knochentrockene DRESDNER Stollen. Sozialistische, die nichts mit Gottes selbstausgewiesenem Sohn zu tun haben wollten. Mich beschäftigt seitdem Folgendes
1. ob es in der ehemaligen DDR Jesuslatschen gab und, wenn ja, wie sie hießen.
2. ob „Marzipanstollen“ vornehmlich in den Neuen Bundesländern verkauft werden und in anderen, westlicheren Läden nach wie vor der „Christstollen“ regiert.
3. ob jetzt wirklich in Bayern alle Kreuze von den Schulwänden abgeschraubt wurden, weil, sakra, das kann ich mir nicht vorstellen.
4. wie ich mir die Kopftuch-tragende Kassiererin im Hugendubel erklären soll. Ich dachte Kopftücher und Christstollen seien verboten worden.
5. ob Madonna Kaballah-Stollen und Michael Jackson Jehova-Stollen und Caroline Reiber nur Reibekuchen backt.
6. ob ich heute früher poste als MC Winkel.

* mit Grauen erinnere ich mich an die Püppchen aus dem Spreewald. Wannimmer ich eine Puppe besaß, wollte ich sie frisieren. Nahm man dem Spreewaldpüppchen die Mütze ab, blickte man auf kalten Kautschuk – die Haare waren kreisglatzenauschschnittmäßig um die Mütze herum gearbeitet.

7 Gedanken zu „CHRISTSTOLLEN/JESUSLATSCHEN

  1. arboretum

    Yep, gab es. Jesuslatschen wurden da wohl auch als Römerlatschen bezeichnet und waren neben den Klettis das bevorzugte Schuhwerk der Kunden, auch Blueser oder Tramper genannt. Die trugen außerdem Rauschebärte, Jeans, Fleischerhemden, Shell-Parkas und nicht zu vergessen den obligatorischen Hirschbeutel, trampten kreuz und quer durch die DDR zu Blues- und Rockkonzerten und -festivals, und wenn man den Erzählungen glaubt, haben sie auch gesoffen wie die Löcher. So hat es mir jedenfalls mal einer erzählt, der damals zu Honeckers Schmuddelkindern gehörte.
    In dem Buch Bye bye, Lübben City sind die dazugehörigen DDR-Bands portraitiert, keine Ahnung, ob es etwas taugt, ich habe bislang nur einige Rezensionen gelesen.

    Antworten
  2. schroeder

    Römerlatschen find ich perfekt. Ist so bezeichnend, dass man sich egal von welcher Seite man kommt, lieber mit dem Imperium als den Revoluzzern schmückt…
    Waren die Spreewald-Püppchen vielleicht verkappte Mönchspüppchen – vonwegen der Tonsur, mein ich?

    Antworten
  3. glamourdick

    REPLY:
    ich glaube nicht. aber mönchspüppchen gab´s auch. wenn man denen auf den kopf drückte, bekamen sie eine erektion. ich konnte meine ostverwandtschaft mit ihren blöden geschenken nie leiden. dann noch diese weinbrandbohnen…

    Antworten
  4. saoirse

    REPLY:
    jahresabschlussflügelpuppe habe ich gelernt (aber ich bin ja schon mit sieben unfreiwillig aus der DDR abgehauen worden). und jesuslatschen hießen eindeutig jesuslatschen. wer was anderes behauptet, lügt!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert