FRAGILE THINGS

Statt Tee Kaffee. Statt Blogslesen und schreiben Buch lesen. Verstörende, von Neil Gaiman auf den Punkt gebrachte Erzählungen des Übersinnlichen. Im Sinne von Übersinn, nicht sinnlich. Wobei es auch die eine oder andere sinnliche Geschichte gibt, was ja auch passt, denn wir feiern das Fest der Besinnung (was mir in dem Zusammenhang auch nochmal erklären muss, Besinnung passt doch zu einer Geburtstagsfeier wie Tannen mit Plastikschmuck.) In „Bitter Grounds“ geht es um Zombiekaffeeemädchen in New Orleans, in „Keepsakes & Treasures“, einer besonders perversen Perle der Fabulierkunst, um düstere Schätze.

Auf dem Weg in den Supermarkt singt Gaimans Kumpel Tori Amos. Nicht absichtlich. Shuffle. „Baker, baker“ – wohl das schönste ihrer seltsamen Lieder. Ich lass mir nicht anmerken, dass ich Tori Amos höre, denn bekanntlich sind Tori Amos-Fans batshit insane.

Mit „baker baker – make me whole again“ lenke ich meinen Einkaufswagen um die Ecke und ein Mann, vermutlich in meinem Alter, schrickt auf. Zunächst wegen des Wagens, in den er fast hineinfgefallen wäre. Dann, weil er mir ins Gesicht schaut, als ob er mich erkennt. Seine Augen werden ganz groß. Aber ich kenn ihn gar nicht. Schwarze Haare (nachgeholfen), sonnenbankbraunes Gesicht, signalrote Steppjacke – ziemlich frech für die Gegend, die anderen Menschen tragen die gleichen Grau, Beige und Brauntöne ihrer Augenringe, höchstens mit einem landwirtschaftlichen Grün veredelt, außer einem dicken Teenager mit Schweineaugen und Stiernacken, Crewcut und einem Versandhaus-Anorak in Schwarz mit unzähligen an Welfen-Wappen erinnernden goldenen Applikationen. Ihr seid die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen. Die rote Steppjacke bleibt mir auf den Fersen. Steht auch an der Kasse hinter mir. Hat seine Einkaufstüte schneller gepackt als ich meinen Korb. Sein Wagen parkt neben meinem. Dann hat er was vergessen, eilt zum Laden zurück, während ich aus dem Handschuhfach meine Christmas-Dinner-CDs in den Einkaufskorb verlagere, damit ich sie nicht vergesse. Als ich ausparken will seh ich ihn hinter meinem Wagen im Rückspiegel. Er strahlt mich an, seine Zähne sind im Kontrast zur Sonnenbankbräune schlohweiß (was ist eigentlich „schloh“?) geht ein paar Schritte zurück und lässt mich ausparken. Dann lächele ich freundlich zurück, winke dankend, wie das Autofahrer mit Umgangsformen eben tun, er strahlt immer noch, und er setzt sich in seinen Wagen, fährt in sein Leben zurück und ich in das meiner Eltern. Bevor ich nach links abbiege schaue ich in den Rückspiegel, um zu schauen, wie ich im Landlicht aussehe. Irgendwie unpassend, de trop. Wie früher eigentlich. Wie immer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert