DIE 13. FEE oder NICHT GESELLSCHAFTSFÄHIG

„So drink – drink – drink
and be ill tonight…“*

Die L. wird 60. Normalerweise feiert sie ihren Geburtstag im Urlaub, damit sie keine Leute einladen muss und so etwas Geld spart, für das sie gefakete Antiquitäten kaufen kann. Dieses mal jedoch kommt sie nicht umhin, eine Feier zu veranstalten. Denn 60 ist eine Zahl, der man die Null schon sehr stark ansieht, zudem hat ihre Lieblingsnichte neuerdings Vorzeigefunktion – sie hat quasi bei Kanzlers eingeheiratet. Die L. ist stolz auf die Lieblingsnichte, sie hat immer gerade eine Lieblingsnichte oder einen Lieblingsneffen, weil ihr eigener Sohn nicht so viel hergibt. Die Hochzeit der Nichte war DAS gesellschaftliche Ereignis im Leben der L. Sie durfte den Flair der großen deutschen Welt schnuppern und mit den Verwandten bekannter Persönlichkeiten gemeinsam im Nieselregen vor einem Schlosshotel rauchen. „Ganz nette Menschen – vor allem die Raucher“ befand sie. Die L. hat ihre Nichten und Neffen immer schlau um den Finger gewickelt. Bei ihr durfte man rauchen, Sekt trinken und ihr auf die Schulter klopfen, wenn sie besoffen ihrem Mann anbrüllte. Der flüchtete sich in die Religion, ja, das gibt es noch, und wie in einem Thomas Hardy-Roman ist er zutiefst religiös und gleichzeitig der schlimmste Heuchler der Ortschaft. Die L. will sich im Grunde seit 30 Jahren von ihm trennen, findet aber den Absprung nicht. Die L. hat immer schon ein feines Talent, es sich mit allen Menschen zu verscherzen. Sie hat keine Freundschaften, die länger als zwei Jahre dauerten, allein die Familie fühlt sich ihr blutstechnisch verbunden, man hält halt zusammen und sie war immer das Sorgenkind – kein Schulabschluss, Ausbildung nicht abgeschlossen und trotzdem hat sie was aus ihrem Leben gemacht, für ihre Verhältnisse. Ihren ganz natürlichen Hang zur Intrige habe ich aus der Ferne immer bewundert, bis ich ihm selbst einmal zum Opfer fiel. Seitdem genieße ich die einstige Lieblingstante mit Vorsicht.

Dass sie Lieblingsnichte und die L. sich über mehr als zwei Jahre so gut verstehen, hat damit zu tun, dass sie nicht im gleichen Ort leben. Und dass sie eine gewisse Verschlagenheit verbindet. Immerhin hat die Lieblingsnichte es geschafft, sich mit Mitte 40 einen wohlsituierten Verwandten bekannter Persönlichkeiten zu angeln. Das macht ihr so schnell keine nach. Und nun soll der 60. Geburtstag der Lieblingstante zum Paradezug für Nichte und Gefährten werden, die ganze Familie ist geladen, den wohlhabenden Gatten zu begutachten. Nur das Glämmchen und der Bruder der Braut nicht, denn der ist mit einer Frau verheiratet, die sich die Nase hat operieren lassen. Glams Nähe zum Pornogeschäft, seine unchristliche Lebenseinstellung, das zu blonde Haupthaar, die offensichtliche Homosexualität – das könnte dem Verwandten bekannter Persönlichkeiten nicht so recht ins familiäre Bild passen, in das er eingeheiratet hat.

Eine peinliche Beichte an dieser Stelle: wo es Kartoffelgratin und die Geschwister seiner Mutter gibt, da fühlt sich Glam zu Hause und so schmerzt ihn die nicht bekommene Einladung. Aber das nicht-präsent-sein führt in manchen Fällen zu einer Überpräsenz. Wo das Glämmchen eigentlich hingehört und doch nicht anwesend ist, da steht ein mächtiger rosa Elefant im Raum. Und um diesen Effekt noch zu verstärken macht sich Glam an die Weihnachtsanrufe bei seinen anderen Tanten. Denn noch schöner ist der rosa Elefant, wenn alle über ihn reden, dann leuchtet er gar purpurn.
„Dann sehen wir uns bei der L.“
„Nein, Tante W. – die L. hat mich nicht eingeladen.“
Wie schwer so etwas in unserer Familie wiegt höre ich an den Luftschnapp-Pausen am anderen Ende der Leitungen. Wie kann man das Glämmchen nicht einladen? Das grenzt nicht nur an Verrat, das IST Verrat. Insbesondere in dieser Familie, die immer zusammen hielt.

„Na – wie war die Party?“
„Der Kartoffelgratin ist ausgegangen. Und sie hat nicht mal die Tische dekoriert. Ich meine – es ist Weihnachtszeit, da kann man doch mal nen Tannenzweig auf den Tisch legen. Es ist gar keine Atmosphäre aufgekommen. Die Raucher mussten nach draußen und haben sich ständig beschwert.“
„Hast Du sie gefragt, warum sie mich nicht eingeladen hat?“
„Dein Vater hat gefragt, ob sie das vergessen hat und da hat sie gesagt, nein, das habe sie nicht vergessen.“
„Die Schlampe.“
„Sag doch sowas nicht. Ist ja immerhin Deine Tante. Aber ist ja wahr.“
„Und wie war der Prinzgemahl der Cousine?“
„Der musste nach ner halben Stunde gehen, er hatte Durchfall.“

Ihren 61. wird die L. wieder im kleinen Kreis feiern, da ist sich die Glamily ganz sicher.

* „Unhappy Birthday“, Morrissey
(„I´ve come to wish you an unhappy birthday
Because you´re evil and you lie
And if you should die
I may feel slightly sad
But I won´t cry“)

6 Gedanken zu „DIE 13. FEE oder NICHT GESELLSCHAFTSFÄHIG

  1. larousse

    REPLY:
    freut ein Nichtaufkommenwollen von Atmosphäre. Wie auch, ohne pink elephant. Nicht, daß ich gehässig wäre. Es ist nur einfach ausgleichende Gerechtigkeit.
    Tante L. scheint den purpurnen Elefanten gar nicht verdient zu haben, wenn Sie mich fragen.

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  2. glamourdick

    REPLY:
    oooops, da fällt mir ein. gestern zumindest hat es an einladung nicht gemangelt, und aus der abwesenheit habe ich keinen genuss gezogen. ich war lediglich kommunikationslädiert. ich bin so vor mich hin stumm. wahrscheinlich eine folge der besinnlichkeit, die ich mal schleunigst hinter mir lassen sollte. hope to see you soon!

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  3. spango

    schon komisch, dass bösartigkeit in der verwandtschaft anders geahndet wird als im restlichen umfeld. da wartet man noch eher ab…dabei ist der schlag längst fällig…

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