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Mit 16 war C. Skinhead und blabberte bloß die stupiden Parolen runter, die sie ihm in der Nazi-Clique vorbeteten. Seine Schwester lud ihn nach Berlin ein, um ihm mal die Gegenwelt zu zeigen, an die er bislang nur im Zusammenhang mit Ausrottung gedacht hatte. Eine Nacht im Schwuz krempelte ihn um. Er trug noch jahrelang stolz die Telefonnummer bei sich, die ihm jemand zugesteckt hatte. Auf die Skin-Phase folgte Heroin. Entzüge. Methadon. Mit Anfang 20 zog er nach Berlin und hatte immer eine hübsche, verständnisvolle Freundin am Start. Ich verlor ihn aus den Augen. Ende der 90er tauchte er wieder auf und, auch mit Rücksicht auf seine Schwester, nahm ich ihn in den Freundeskreis auf, er war aber auch ein süßes großes Kind.

Wenn auf Parties Drogen im Spiel waren, machte er mit. Er ist ja jetzt erwachsen, dachte ich, und Koks ist ja was anderes als Heroin. Aber irgendwann lud ich ihn nicht mehr ein, wenn ich wusste, dass es Drogen geben würde – Schuldgefühle.

Seine Beziehungen hielten in der Regel so lang wie seine Jobs. Er bat oft um Hilfe. Fand immer schnell wieder eine Neue. Manchmal rief er an, weil er die Nummer unseres Dealers verlegt hatte. Ich verschaffte ihm einen Job, der eine ziemliche Herausforderung war, da wären auch Stärkere eingeknickt. Musste mir Beschwerden anhören – Whisky bei der Arbeit, schon besoffen beim Eintreffen. Er verlor den Job, mal wieder eine Freundin und ich konnte nicht mehr. Hatte die Nase voll davon, ihn zu unterstützen. So ging es nicht nur mir, auch seine Familie hatte ihn aufgegeben, dann wieder aufgenommen, kontinuierlich, eine erschöpfende Wellenbewegung. Das nächste was ich hörte: Entzug. Diesmal meint es ernst. Eine Woche später treffe ich ihn in der Nachbarschaft.
„Die haben mich rausgeschmissen. Ich war drei Mal zu spät zur Gruppe, da fliegt man halt. Ich bin jetzt wieder auf Methadon.“
Methadon ist für mich ein schwieriges Wort. Deshalb reagierte ich auch ziemlich schockiert, als ich erfahre, dass er all die Jahre drauf war, auch in der Zeit, in der wir gemeinsam koksten.
„Ey Mann Glam, meld dich mal, ich muss Dir unbedingt meine neue Freundin vorstellen!“
Das ist jetzt vielleicht 4 Jahre her.

Gestern nach der Arbeit schalte ich mein Handy an. Drei Anrufe der selben Nummer innerhalb von 5 Minuten. Eine Nachricht aufd der Mailbox.
„Hey Mann, Glam. Ich wollte nur mal hören wie´s Dir geht, Alter. Meine neue Handynummer hast Du ja jetzt.“

„Das war C., der hat mir gerade noch gefehlt“, sage ich zu Herrn Strike während wir die Treppe einen Bürogebäudes hinabsteigen. Auch Herr Strike hat die Auf- und Ab und Auf- und Abstiege des Herrn C. miterlebt. Die schönen Anekdoten wie die, als er nach einer meiner Parties früh morgens auf dem Bürgersteig einen anderen Partygast bewusstlos unter dem eigenen Fahrrad entdeckte:
„Und – warum hast Du ihr nicht hochgeholfen?“
„Ey Mann – ich hab gedacht die Lesbe schlägt mir doch eins auf´s Maul wenn ich mich über die beuge!“
Aber eben auch die Berichte, wie er sein Koks spritzte und nicht zog, und wie er dann immer nahe einer Toilette sein musste, weil ihm das gespritze Koks auf den Magen schlug, der Kick aber wohl viel viel geiler sei.
„Und, was will er?“
„Wahrscheinlich nen Dealer oder Geld. Ich ruf nicht zurück.“

Eine viertel Stunde später gehe ich auf meine Haustür zu. Da steht ein Typ. Natürlich C.
„Ey Glam Mann – ich war in der Nachbarschaft und dachte ich schau mal rein. Ich war schon oben, Deine Mitbewohnerin hat gesagt, du bist bald wieder hier, ich hab Dir n Zettel oben gelassen mit meiner Nummer und so.“
Als er mir zur Begrüßung auf die Wange küsst, rieche ich Schnaps.
„C., ich komm von der Arbeit, ich bin ko. Ich hab leider keine Zeit.“
„Kein Problem Mann, meldste Dich einfach mal, ich muss Dir unbedingt meine Freundin vorstellen.“
Küsst mich nochmal, es schlägt mir auf den Magen.

Oben finde ich dann auf der kleinen Kommode im Flur ein Din A4-Blatt, auf dem die Buchstaben nur so tanzen. Überlege, ob ich seine Schwester anrufe. Und tue es nicht, denn sie weiß es und ich weiß es – ihm ist nicht zu helfen.

6 Gedanken zu „H

  1. luckystrike

    Ich habe auch bezeugen dürfen, daß sowas nicht unbedingt eine Einbahnstraße sein muß, allerdings fehlt diesem jungen Mann offensichtlich der Anreiz und wahrscheinlich die Fähigkeit, das zu ändern -sehr schade.

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  2. Ebola

    Hoch will man nur, wenn man ganz unten war. Der Herr hatte noch nicht seinen absoluten Tiefpunkt. Der muss mal mit der Nase die Straße streifen – und erst dann zeigt es sich, ob er wieder … ins Leben will.

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  3. Roulette

    REPLY:
    Er hatte vermutlich schon viele Tiefpunkte und jetzt braucht er Hilfe. Allerdings Hilfe von ganz anderen Leuten, als denen, die ihm bisher geholfen haben. Das ist meist der Knackpunkt. Glam hat sein Dilemma gut ausformuliert. Wie ich schon sagte: Punkt. Denn Selbstvorwürfe bringen die Angehörigen auch nicht weiter.

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