Come what may

Je länger sich die Ereignisse hinziehen, desto schwieriger, die richtigen Worte zu finden. Zeitnah war es nicht möglich, dh ich war unwillig, Blogbeiträge auf dem Handy zu schreiben, denn nur das hatte ich bei mir, in den letzten Wochen im Harz.

Ein Krankheitsfall in der Familie führte mich ins heimische Gebirge. Wohnung und Vater hüten und Krankenhausbesuche aus dem Vorharz in den richtigen Harz. Landstraßen, in gleißend blendendes Morgensonnenlicht getaucht, raubereifte Waldlandschaften. Das Krankenhaus, in dem meine Mutter gut aufgehoben ist. Ins Familienleben eingebunden reift in mir immer eine kleine Rebellion, ich muss mir einen eigenen Bereich schaffen und sehr gut geht das mit Sex. So finde ich mich eines Winternachmittags in einem Wald mit einem jungen Mann, der sich als wirklich sehr jung herausstellt, er ist als Au Pair in der Gegend, ein Nieselregen steht an, es wird auch schon dunkel und Sex im Wald im Dezember ist nicht wirklich mein Ding, stellt sich heraus. Auf der Fahrt nach Hause ärgere ich mich, dass ich kein Fuck Pad in der Gegend habe. Und eine Sekunde später würde ich die Hände überm Kopf zusammenschlagen, wenn diese nicht das Lenkrad hielten. Was spricht dagegen, jemanden nach Hause einzuladen? Die Tatsache, dass mein ehemaliges Zimmer eine Art Abstellraum geworden ist, in dem nur zufällig noch mein Jugendbett steht. Unsexy. Außerdem, stelle ich mir die Frage, wie kann ich einen Mann mit nach Hause nehmen, wenn ein Vater da ist. Einen schwulen Sohn zu haben ist eines, einen schwulen Sohn zu haben, der unter den eigenen vier Wänden Sex hat, etwas ganz anderes? Oder? Dann fällt mir ein, wie ich als Teenager mit dem Rauchen angefangen habe, bzw wie ich es durchgesetzt habe. Ich tat es einfach. Irgendwann kam nicht mehr der Spruch „Hör mit dem Rauchen auf“, stattdessen bat meine Mutter „leere wenigstens den Aschenbecher!“

Eine Tag lang sortiere ich im ehemaligen Kinderzimmer umher, suche aus dem üppigen Hausbestand Bilder, Dekomaterial, und schaffe mir einen Wohlfühlbereich. Am Abend bereise ich die blauen Seiten und werde bei einem ziemlich anonymen Profil fündig. Der immer noch junge, aber nicht Au Pair Junge schickt mir Fotos, und mir fällt die Kinnlade runter. Wenn er in Wirklichkeit nur annähernd so gut aussieht… Er sieht in Wirklichkeit sogar noch besser aus, wie ich am Folgetag feststellen soll.

„Papa, heut bekomme ich Männerbesuch.“ Kündige ich an und mein Vater zuckt mit keiner Wimper. Kurz vor dem Besuch setzt er sich im Jogginganzug an den Abendbrotstisch. „Kann ich mich den so sehen lassen?“ will er wissen. „Ah Papa, lass mal. Ich stell Euch vielleicht später mal vor.“ Und kann die ganze Zeit gar nicht glauben, wie simpel das alles vonstatten geht. Ich stelle fest, dass eine verinnerlichte projizierte Homophobie gar keinen Berechtigungsgrund mehr hat. Mit Ende 40! These things take time.

Und dann kommt M. Ziemlich unbefangen reden wir, rauchen eine, lassen uns nieder, küssen uns. Und jede Minute unseres Tuns und Fühlens falle ich tiefer, strebe ich höher und ein ungemein tiefes, warmes Gefühl steigt in mir auf und breitet sich aus. Noch lange nach dem Sex liegen wir vergrätscht im schmalen Bett und lassen einander nicht los. Er sagt die richtigsten Sachen, es würde mir fast Angst machen, wäre da nicht dieses weit ausgebreitete warme Glücksgefühl, auf dem ich mit ihm schwebe. „Glam, wenn Du nur hier wärest…“ und ein liebender Blick, ich kann ihn anders nicht beschreiben, aus seinen braunen Augen. „Aber das bin ich doch.“ Jetzt. Noch. Was weiter wird, werden wir sehen.

Ich bin nicht gerade verwöhnt, was glückliche Beziehungen angeht, die Skepsis ist immer nah an der Oberfläche. Was in einem Augenblick ganz wunderbar scheint, kann tags darauf verdampft sein. Spucke im Feuer. Aber M. macht alles richtig, schickt mir liebevolle Worte aufs Handy. Macht mir Mut, als es Komplikationen bei der OP meiner Mutter gibt, die sich nur langsam erholt, was ihren Krankenhausaufenthalt und meinen im Harz verlängert. Die ersten Tage, die sie aus dem Krankenhaus zurück ist, bleibe ich noch, um ihr Arbeit abzunehmen, und weil sich das so gehört. Unser Date am Vorabend meiner Abreise sagt M. kurzfristig ab. Angst vor der eigenen Courage diagnostiziere ich und liege richtig. Ich lass das nicht auf mir sitzen. Ich könnte versuchen, es als kurze Affäre ad acta zu legen und ihn schnell zu vergessen, aber ich entscheide mich dagegen. Konfrontiere ihn. Und wir sortieren es aus. Er erzählt mir etwas zuvor Verschwiegenes, von dem er annahm, dass es unser Aus bedeuten würde. Ich kann ihn beruhigen. Der befürchtete Schocker schockiert keineswegs, ein weiteres Puzzle-Teil in unserer Aufstellung. Das kriegen wir hin. Auch nach wie vor leise Skepsis, aber die gehört zu meiner Grundausstattung. Momentan tun wir beide einander das Beste, was wir können. Fernbeziehungen haben Vorteile. Und wir müssen nicht nach irgendeinem Entwurf leben, wir können uns das so gestalten, wie es für uns gut ist. Ich habe lange nicht daran geglaubt, dass ich so etwas noch einmal erleben würde. Siehe da!

Moulin Rouge – Come What May (Ewan McGregor & Nicole Kidman from Joanne Mannies on Vimeo.

Das sind jetzt alles nur Bruchstücke des Erlebten, ich habe die Musik nicht erwähnt. Before the Dawn und Lazarus liefen derweil, im Auto, im umfunktionierten Kinderzimmer. Unsere Messages hin und her. Berg- und Talfahrten, aber immer eingefassen in Zuversicht. Sehnen, aber nicht diese frustrierende Sehnsucht, sondern ein Band zwischen uns und Worte, die uns halten und bestärken.

2 Gedanken zu „Come what may

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