GLAMS TANTE ELLI

Am Samstag das erste Mal in 38 Jahren Tante Elli beim Abschied umarmt. Tante Elli ist eine Nenn-Tante, eine Freundin meiner Mutter. Bis zu ihrem 60. Lebensjahr war sie auch die Konditoreifachverkäuferin und Bäckersgattin im Dorfe meiner Kindheit. Außerdem die schönste Blondine vor Ort, Zigarettenraucherin und sehr sehr freundlich. Tatsächlich war sie diejenige, die Kleinglam das erste Mal mit „Na mein Stern, was darf es sein?“ begrüßte und mir mehr als einmal die Woche ein Milchhörnchen spendierte, weil ich ein hübsches, artiges Kind war. Tante Elli hatte drei sehr hübsche Kinder. Katrin war die beste Freundin meiner Schwester. Christoph war mein bester Freund und dann gab es noch einen älteren Bruder, dessen Namen ich vergessen habe und der vielleicht der attraktivste der 3 war und sehr rebellsich, weshalb er selten erwähnt wurde. Eleganz und Attraktivität waren Tante Elli immer wichtig. So kündigte sie einer Konditoreifachverkäuferin, weil diese immer dicker wurde. Als ihr Sohn Christoph einen Fahrradunfall hatte (so richtig mit halbem Gesicht auf der Straße lassend) wannte sie sich weinend an meine Mutter „Was, wenn das nicht verteilt – ich kann ihn nicht im Krankenhaus besuchen, ich kann nicht in ein zerstörtes Gesicht schauen. Stell dir vor, der wird entstellt sein! Ich kann solche Gesichter nicht ertragen. Ich kann keine hässlichen Menschen sehen.“

Tate Elli raucht nicht mehr, hat jetzt gesträhntes Haar, trägt Chanel-Nachahmungskostüme und eine kesse Brille. Sie ist immer noch sorgfältig zurechtgemacht aber hört nicht mehr gut. Das ist nicht verkehrt, denn ihr Mann labert nur Scheiße. Tante Elli redet über Blumengeschenke, Stadtreisen, Geburtstagsfeiern und Freizeitsport. Es gibt viele viele Themen, die mit ihrer eigenen Familie zu tun haben (und mich sprichwörtlich tangieren aber grundsätzlich nichts angehen und deshalb unerwähnt bleiben sollen), über die sie nie sprechen würde. Weil Ästhetik ihr höchster Wertmaßstab ist, wird das Hässliche totgeschwiegen. Und da gab es viel Hässliches. Es sind mir in meinem Leben noch viele Tante Ellis begenet, die ich für ihre Schönheit und ihre Freundlichkeit bewunderte. Und die irgendwann in ihrer Substanzlosigkeit nehzu uninteressant wurden, sogar noch bevor ihre hübschen Hüllen den Zenith überschritten hatten. Deren Hüllen fielen und ein kleines Häufchen selbstverachtenden verkrumpelten Selbsts freigaben. Vielleicht liegt es aber einfach daran, dass Freizeitsport bei mir nur selten Thema ist. Und auch ich zwar von Hüllen leicht zu blenden bin, aber nicht dauerhaft, und dass ich auf die Füllung mehr Wert lege. Es hat lange gedauert, ja. Am Samstag also, fand ich Tante Elli optisch einwandfrei aber ansonsten so richtig Scheiße. Wenn sie redete, dann hörte ich nur die Geschichten, die sie ausließ. Ich dachte an ihre Kinder, die unter dem absurden Attraktivitätsideal der Mutter zu leiden hatten und haben. Und daran, dass sie sich das selbst nie eingestehen kann. Und da musste ich sie in den Arm nehmen.

Apropos Füllung: Bei Kindergeburtstagen brachte Christoph als Geschenk immer gefüllte Pfannkuchen mit. In einem davon war ein 50-Pfennig-Stück versteckt. Das fand IMMER er. Und fand das nicht einmal ungerecht!

6 Gedanken zu „GLAMS TANTE ELLI

  1. lore.berlin

    Schönheit liegt ja irgendwie auch immer im Auge des Betrachters. Was nützt mir eine schöne Hülle, wenn der Mensch hinter der Fassade einfach mal Schei*e ist. Schönheit als einziges Attribut finde ich auf Dauer anstrengend und langweilig.

    Und !!! Aus einer schönen Schüssel isst man nie allein. 🙂 Ich würde sie natürlich auch nicht wegschieben, aber da gehören einfach auch ein paar andere Dinge dazu.

    Tante Elli wird das nicht mehr begreifen, manchen Menschen sollte man im Alter einfach ihre Macken lassen. Sie sind schon genug gestraft.

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  2. bittersweet choc

    konditoreiverkäuferinnen müssen hüftgold haben. klapperdürre sind in diesem fach doch geschäftsschädigend. ich versteh da tante elli auch nicht.

    danke für die erinnerung an milchhörnchen. ich glaube, die gibts nur im vorharz. ich habe nie wieder anderswo eins gesehen.

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  3. glamourdick

    REPLY:
    das war ein offenes geheimnis. dazu musste man nicht zu den 3 fragezeichen gehören. (steht auf den büchern eigentlich imme rnoch alfred hitchcock als autor???)

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  4. larousse

    Schöner Text! Und: jeder hat so seine Tante Elli. Mir tun sie Leid, die Tante Ellis dieser Welt. Weil sie ständig in Panik sind, irgendwann könne ihre Hülle fallen. Und dann sind sie nackter als ein neugeborenes Känguruh.

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