CRAZY LADIES: NORMA DESMOND

In fernen fernen Zeiten, als der durchschnittliche Westfernseher im Zonenrandgebiet fünf Sender empfangen konnte (ARD, ZDF, NDR, DDR1 und DDR2) gab es trotz des überschaubaren Angebots einige fantastische Filmreihen: Die ARD bot Samstags ab 23h Horror und SciFi. Das ZDF zeigte in „Des Broadways liebstes Kind“ alle verfügbaren ‚Hollywood-Musicals von „Auntie Mame“ bis „The Sound of Music“, aber die schönste, schaurigste und, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, langlebigste Filmreihe lief unter der Überschrift „Mumien, Monstren, Mutationen“ im NDR. Auf meinem kleinen Kinderzimmer-Schwarzweiß-Fernseher erlebte ich die Klassiker des Horrorfilms. Filme aus den 30ern von James Whale (Frankenstein), Tod Browning (Dracula, Freaks), Tourneur (Cat People). Verschollen geglaubte und selten wieder aufgeführte Perlen wie den Geisterfilm „The Unininvited“ oder Schocker wie „Dr. Cyclops“ und „Graf Zaroff, Genie des Bösen“ (der danach schreit, neu verfilmt zu werden).
Hollywoodfilme der 30er bis 60er sollten mein Weltbild stark prägen, was mich der Realität der 70er eher als Gestrandeten auslieferte. Wenn meine Schulkameraden unter der Bettdecke ihre Drei Fragezeichen hörten, schaute ich lieber dem incredibly shrinking young man zu oder verfolgte das Schicksal des Puppenspielers in „Dead of Night“. Und als ich das allererste Mal „Sunset Boulevard“ von Billy Wilder sah, stufte mein trainierter Blick den Film sofort als Horror-Film ein.
Hollywood, Ende der 40er. Ein junger Drehbuchautor flieht vor seinen Gläubigern und versteckt seinen Wagen in der baufälligen Garage eines riesigen verwunschen wirkenden Anwesens am Sunset Boulevard. Eine herrische Dame fordert ihn auf das Haus zu betreten, sie hält ihn für einen Betstattungsunternehmer. Präsentiert aufgebahrt die Leiche eines Schimpansen. Dann erkennt er sie als Norma Desmond, entthronte Filmkönigin der Stummfilmära.

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(Ca. 1.20 min.)

Für ein Kind ist Norma Desmond der böse Geist des Hauses am Sunset Boulevard. Wie ihre Hände sich krallenförmig um Mobiliar und Unterarme legen, ihre weit aufgerissenen Augen mörderische Ausbrüche anzukündigen scheinen. Die Musik im Haus – der Wind, der durch eine kaputte Orgelpfeife jault. Das Haus – ein gespenstischer, staubiger Palast. Und natürlich ist das eine völlig korrekte Lesart von Wilders Filmsprache. Der narzisstische Star als Monstrum. Das Haus ein Spukhaus, die Filmorgel als gothic instrument. Selbst der Job des Protagonisten, der sich für Norma als Salomé-Script-Ghostwriter betätigen wird, bevor er ihr Liebhaber, ihr Gigolo wird. Wenn ich heute „Sunset Boulevard“ sehe, dann nicht mehr als Horrorfilm, sondern als einen der zwei besten Filme über den Opportunismus (der andere, „All anbout Eve“, ging im gleichen Jahr ins Rennen um die Oscars und siegte). Das Drehbuch ist so stark, dass selbst die Musicalfassung dem Stoff nichts anhaben konnte – im Gegenteil. Was damit zu tun hat, dass das Libretto hauptsächlich zitiert und selten variiert. Die Figur Norma Desmond ist ein Hollywood-Archetyp geworden, genau wie Dracula und Frankenstein und Bette Davis´Margo Channing in „All about Eve“, aber in viel stärkerem Ausmaß. Eine einst mächtige Frau, die in der Illusion lebt, sie sei immer noch an der Spitze, deren Traum erst zerbricht, als der Drehbuchautor sie in die Wirklichkeit entführt, in die sie nicht gehört. Die Wirklichkeit ist nicht stumm, wie die Filme, in denen Norma erfolgreich war. („We didn´t need dialogue! We had FACES!“) Die narzisstische Schizoidie endet in einem Fall tödlich, im anderen gnädig – mit Verneblung. Norma geht zurück in ihren Traum, fast so wie Mrs Danvers, die in Manderley in den Flammen aufgeht.

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(Ca. 2.30Min.)

Hollywood Gothica, further reading : Kenneth Anger „Hollywood Babylon“, Theodore Roszak „Flicker“, Clive Barker „Cold Heart Canyon“, Angela Carter „The Merchant of Dreams“.

„Sunset Boulevard“ available on Paramount DVD, Special Collector´s Edition, ca EUR 8,-

Und, falls jemand Glam eine riesengroße Freude bereiten will: der sucht seit Jahrzehnten so einen Zigarettenhalter-Ring, wie Norma ihn trägt.

8 Gedanken zu „CRAZY LADIES: NORMA DESMOND

  1. mommsens_blog

    hey, ich rauch nur noch mit dem ding. und meine kleine manufaktur in wien stellt gerade weitere her. ob dir die nachbildungen gefallen, können wir dann ja sehn.

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  2. pheerce

    zigaretten. das ist oouuuuuut! ein giftring muss her, liebes! obwohl, da landen wir dann eher bei agatha christie und hercule poirot und das ist stylingwise nicht ein hundertstel so sexy.

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