ALL THE FIRES OF DESTRUCTION ARE STILL BURNING IN HER DREAMS oder THE RETURN OF DIVA

„I’m not one genre. It’s like Kate Bush. You can’t say, ‚What kind of music does Kate Bush make?‘ She makes Kate Bush music.“
(Annie Lennox)

Und Annie Lennox, in der Tat, hat wieder eine Annie Lennox-CD veröffentlicht. Wo Madonna meint, sich permanent neu erfinden zu müssen, wahrscheinlich, weil das Basismaterial so ungenügend ist, dass man im fiesen Griff des Jugendwahnes immer einen neue Schicht Stuck draufklatschen muss, bleibt sich Annie musikalisch treu. Stimmlich, kompositorisch, auch die Arrangements sind konsequent Lennox. Erstaunlicherweise ist Madonnas bestes Stück seit Jahren ihr kurzer Beitrag in Annies „Sing“, wo ihre Stimme eine warme Färbung bekommt, die man vermutlich mit einem Feng Shui-Programm oder einem Exorzismus erzeugt hat, anders ist das menschliche Moment nicht zu erklären. Egal, hier geht´s um Annie, die, wie Lucky-Darling kürzlich feststellte, mit drei Arten von Liedern eine beachtliche Karriere gemacht hat. Das ruhige, sphinxenhafte (Why), das temporeiche, stampfend aggressive, vorwurfsvolle (Little Bird), und die schraubende kritische Selbstbetrachtung (Cold, Lost).
Ist das schlimm, imme die gleichen Formeln zu verwenden? Nein, denn genau das macht einen Star aus. Du hörst ein paar Klänge im Radio und erkennst sofort. Das Intro von „Dark Road“, obwohl es ein klitzekleines bisschen an, urrrgs, U2 erinnert, ist essential Annie. Rufus* hat seine fünf Formen (hakige Psacho-Ballade, überbordender Bolero, zarte komplizierte Ode, kompaktes Kunstlied, stringenter musikalischer Orgasmus) mittlerweile um eine 6.: Judy, und 7.: tschechischer Märchenfilm angereichert. Deshalb würde ich einem Rufus-Konzert selbstverständlich immer den Vorzug gegenüber Annie geben, aber Rufus erwartet viel von seinen Zuhörern, was den Kreis seiner Verehrer einschränkt, die Meisten reagieren lediglich auf Judy und die Psycho-Ballade. Annie hat Mass Appeal, was mich manchmal so erstaunt, wie die Tatsache, dass Millionen von Menschen Björk lieben, die ja auf eine charmante Art und Weise plain crazy ist. Nach der langweilige Katastrophe „Bare“ ist es versöhnlich, mitzuerleben, dass Annie zu ihrer guten Grundform zurückgefunden hat.

Auf der „Songs of Mass Destruction“ sind die Annie-Formeln in eine schöne Abfolge gebracht und man wandert über klare direkte Vokabeln durch ihre Klangwelt, ist bewegt, angeregt, ein bisschen melancholisiert, dann wieder emporgehoben. Sie ist ein wenig softer geworden, aber immer noch eine Suchende, das ist, was mich bewegt. Ein Album, das man ganz hören sollte. Mit der Herbstsonne auf der Nase und Laub im Haar.

Annie on „“The View“ with Whoopi, performing „Dark Road“ live.

* Von Kate Bush schweige ich. Sie ist ein Universum.

10 Gedanken zu „ALL THE FIRES OF DESTRUCTION ARE STILL BURNING IN HER DREAMS oder THE RETURN OF DIVA

  1. timanfaya

    REPLY:
    … neee, das machen nicht alle. ich war gestern erstmalig [<- ich depp!] bei david sylvian. ein gott meiner jugend. und bis heute. als ich seine erste platte gekauft habe hatte er schon seine erste große karriere hinter sich – und es wurde noch mit wählscheiben telefoniert. jedenfalls bin ich noch völlig geplättet. rundum. absoluter wahnsinn. und seine stimme ist übrigens sein besseres playback. unglaublich …

    p.s.: seid ihr eigentlich auch alle schon ausgetauscht? warum sagt niemand was? whoopi goldberg ist extraterrestisch. ein formwandler, eindeutig. niemand kann 30 jahre lang gleich aussehen!

    Antworten
  2. spango

    irgendwie ist die neue platte nett, aber irgendwie auch über weite strecken einfallslos. bisher. aber die stimme, die macht vieles wett, was kompositorisch eher schmalbrüstig daher kommt. vielleicht brauche ich auch nur zeit…

    Antworten
  3. luckystrike

    das ist eine sehr schöne würdigung. ich finde die neue platte eher schwer verdaulich, einige eher ärgerliche lieder habe ich schon aussortiert, und an die balladen höre ich mich erst noch rein. mich beeindruckt, was sie mit ihrer stimme macht, manchmal schwer auszuhalten, genau wie hier in live, weiß noch nicht, ob mir das gefällt oder nicht.

    Antworten
  4. glamourdick

    REPLY:
    man merkt, dass sie lange nicht mehr live gesungen hat. und auch, dass an der stimme auf der platte durchaus ein bisschen geschraubt wurde. aber das machen ja alle.

    Antworten
  5. kittykoma

    sehr gut beschreiben, das mit madonna: jemand, der seinem material nicht vertraut, vertrauen kann und deshalb diesen zirkus in gang setzt.
    und björk: ich finde björk klasse. schon wegen des cunningham-videos. (ich schreib nur den link, sonst gibts probleme mit den rechten) aber ich höre sie nicht, sie ist mir zu anstrengend.
    annie, hm, ich konserviere die androgyne sirene der eurythmics. annie als frau, mit dieser verletzlichen, hart arbeitenden stimme, das war mir to much.
    außerdem hab ich einen ziemlich verkorksten musikgeschmack: puristischen techno, blueshaften metal, französisches chanson.

    Antworten
  6. raketenprinz

    erst heute lag sie im briefkasten, die cd (i-tunes hatte sich da mit datenrate und preis etwas vertan). daher noch kein kommentar außer vorfreude.
    doch dark road hört der prinz, seitdem der ereignishorizont die empfehlung gab. und wie immer hatte er recht: it grows on you. ein wunderbarer song. and so very lennox. da haben sie ganz recht, herr glam. she’s very much herself.
    aber wenn man es nicht besser wüsste: wirkt sie nicht fast ein wenig nervös beim interview?

    Antworten
  7. glamourdick

    REPLY:
    „now. miss lennox. we know about your concern for the the coloured people and women on this planet and pygmee zebras, but bare in mind: 90 seconds at MOST! you know, we want to show the cover of your new album, too.“

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu muenni Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert