WENN ICH SONNTAGS IN MEIN MUSEUM GEH… oder WALZERALPTRAUM

„Boah, kuck ma, ist die dünn!“
Und da steht dann eine Frau mit Spillerärmchen, in schwarzweiß, in einem schlampig gearbeiteten Operettenfilmkleidchen, hohlwangig, mit grooooßen Augen, und mit einer Kinderstimme sagt sie zarte alberne Sätze.

Während die anderen draußen an den Knospen lutschen ergreifen manche von uns nämlich die Chance, in Räumen zu wandeln, in denen es von Rechts wegen nach altem Papier und Mottenkugeln riechen müsste, tut es aber nicht. Da ist Conny! Dem hätten wir aber im Resi ein Billet doux per Rohrpost zukommen lassen, doch dafür sind wir leider zu spät geboren.
In kleinen Räumen laufen auf großer Leinwand weißgraue Filme. Busby Berkeley-Choreographen gab es in Deutschland nicht, und die Kameras glitten nicht durch die Tanzenden sondern blieben, von der ganzen Gymnastik schockiert, verfroren stehen. Straff frisierte Sekretärinnen knödeln Liebeslyrik und grinsen berauscht. Wiener Madeln stapfen mit angeknoteten Kringel-Extensions walzerstrunken im Arm von schlecht gebauten, uncharismatischen Kerlen durch Pappmaché-Kulissen. Lilian Haveys Lippenstift – immer zu dunkel.

In akkurater Tippschrift lesen wir die veranlasste Kündigung der jüdischen Mitarbeiter des Studios. Aus vielen ist in Hollywood etwas geworden, wo die Kostüme sorgfältiger gearbeitet wurden und wo man erstmals auf die Idee eines Drehplans kam. Doch viele andere nahmen ein dramatischeres Ende. Renate fiel aus dem Fenster, man weiß nicht, ob das ein Zufall war, und von der Kindfrau mit der Zauberstimme „verliert sich die Spur 1937“. Man muss das Drama nicht immer selbst bestreiten, man kann auch einfach mal ins Museum gehen.

kino

2 Gedanken zu „WENN ICH SONNTAGS IN MEIN MUSEUM GEH… oder WALZERALPTRAUM

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