HOLLY, GO LIGHTLY! oder LOVESONG FOR A SCHAUKELMÖBEL

Die erste hatte ich nach Kriterien der Bequemlichkeit ausgewählt. Und nach Maßen. Sie passte exakt in die Quer-Ecke der Terrasse. Teuer war sie, für damalige Verhältnisse: 400 Mark! Abzugspunkte gab es für das Design: Türkis gemusterter Stoff wie die Sitzmöbel eine Auttobahnraststätte 1985. Und der Baldachin! Hier ne Bordüre, da noch Fransen, und wenn die Sonne draufschien und man saß darunter, dann hatte man eine Gesichtsfarbe wie ein Schlumpf, kurz vorm Kotzen. Aber hässlich war 1998 auch gleichzusetzen mit kann-schon-wieder-stylish-sein, und das war, bevor ich Grey Gardens gesehen hatte. Der Aufbau war mehr als kompliziert. Die damalige Mitbewohnerin und ich kämpften uns durch die Bedienungsanleitung und verzweifelten. Währenddessen klingelte das Telefon und eine Diva aus Paris erzählte von RWF, weshalb mir der Aufbautag noch sehr in Erinnerung ist.
Der Hund des Ex liebte es, unter der Schaukel zu ruhen während der Ex und ich, damals war er noch nicht der Ex, darauf knutschten. Es waren so Anita-Kupsch-Momente.

Irgendwann entdeckte ich die Sonne für mich und baute den Baldachin ab. Mit ein paar Decken über der Sitzfläche sah sie fast schon sexy aus. Und sie war bei meinen Gästen immer sehr beliebt, fast schon wie mein Boot, wenn es sanft auf dem Wasser schaukelt, auch da bekomme ich immer Pluspunkte verliehen.

Im vorletzten Jahr zeigte sie erste Alterserscheinungen. Die Auflagen waren marode. Flugs nähte mir die Spreepiratin neue, in einer unvergesslichen Versace-war-Türke-Deko. Aber kürzlich brach dann das Gitter der Sitzfläche und gestern trennten wir uns. Sie wird nun in einem Dorf nahe Falkensee ihre letzte Ruhe finden. In einem Garten, unter einem Kirschbaum. Ihr neuer Besitzer, ein Genie mit Werkzeugkasten, mit dem mich eine kurze Affäre und dann eine langjährige erfreuliche Nachbarschaft verbindet, fertigt eine neue Sitzfläche. Die Auflagen der Spreepiratin werden auf dem Dorf Neid erregen und eine Stilwende auslösen, des bin ich gewiss. Meine Lieblingsnachbarshündin wird wochenends unter ihr schlummern und von ihrer letzten Scheinschwangerschaft träumen. Sie wird mir ein bisschen fehlen. All die Tausenden von Seiten, die ich auf ihr gelesen habe, die unzähligen Drinks verschiedenster Abendveranstaltungen, die auf ihr verschüttet wurden. Der eine oder andere Spritzer Sperma. Die Popos erlesenster Gäste. Ihren letzten großen Moment hatte sie auf meiner Geburtstagsparty, als die Mit-Konstrukteuse, die ehemalige Mitbewohnerin, auf ihr nächtigte.

Das war eine runde Sache. So long (so würde die Anruferin, die uns den Aufbau versüßte, es ausdrücken), so long also, alte Holly, Sitzmöbel Du. Dein Nachfolger, Dracula´s Porch-Swing, wird nie die Erinnerung an Dich auslöschen. Gehab Dich wohl, auf Deinem Altersruhesitz, und möge Dein neuer Besitzer Dir ebenso schöne Momente schenken. Und Du ihm!

9 Gedanken zu „HOLLY, GO LIGHTLY! oder LOVESONG FOR A SCHAUKELMÖBEL

  1. glamourdick

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    die frage, die mich jetzt schon den ganzen vormittag beschäftigt: hat britt ein samen-archiv oder fertigt sie es industriell an?

    und die samenbank steht noch auf der terrasse. die ist ja noch recht neu.

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  2. brittbee

    Wer ist eigentlich dieser Andre?

    Ach, eine Ode. Meine letzte Besetzung war in wahrhaft schöner Schweizer Gesellschaft. Schöner hätte ich nicht Abschied nehmen können. Farewell in Brandenburg (ist doch Brandenburg?)

    Ach ja, und mein Sperma wars irgendwie och nich.

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  3. glamourdick

    REPLY:
    hätte ich gewusst, dass ihr alle euer sperma auf ihr lassen wollt, dann hätte ich euch doch auch mal mit ihr allein gelassen. und jetzt ist sie weg und wird nie erfahren, wie geil ihr auf sie wart. kleine alltagsdramen.

    wenn jetzt ein brandenburger eichhörnchen an ihr vorbeiflitzt, dann wird sie raunen „ich komm aus kreuzberg, du muschi!“

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