GLAMALTRUISM oder REQUIEM FOR KARSTADT

Kostet eigentlich noch irgendetwas das, was es wert ist? Ich will mich nicht als Moralapostel aufspielen, schließlich gehöre auch ich zu denjenigen, die den günstigen Dollar und das Pfund ausgenutzt haben, um sich die Regale mit DVDs und Büchern vollzustopfen, aber immerhin – ich hab den Kram nicht illegal aus dem Netz gezogen. Und klar freu ich mich, dass ich eine CD für n 10er bei Itunes kaufen kann und nicht drauf hoffen muss, dass ein arroganter Plattenhändler sie für mich ordert. Aber in den letzten zehn Jahren hat dieses Konsumentenverhalten zu Geschäftseinbrüchen und Pleiten geführt und wirkt zurück auf die Unterhaltungsindustrie, die nun vorsichtiger mit ihrem Geld umgehen muss, was zu einer Schrumpfung des Angebots führt. Ich mein – Bebe hat nicht einmal nen Clip auf Youtube für „La Bicha“, das geht doch eigentlich gar nicht. Wenn die Entwicklung in der Filmindustrie ähnlich verläuft, dann bekomme ich Angst.

Und dann das – Karstadt. Ich komme vom Dorf, die erste Anlaufstelle, wenn ich ein Buch oder eine Schallplatte kaufen wollte – Karstadt in der Nachbarkleinstadt. Bei Karstadt bekamst Du alles. Und jetzt ist Karstadt in derselben Situation wie ich manchmal – sie können die Miete nicht zahlen.

Karstadt Hermannplatz ist in all den Jahren, die ich Berlin lebe mein Lieblingskaufhaus gewesen. Fuck Galerie Lafayette, forget KaDeWe, ignore Department Store. Elektrogeräte, DVDs, irgendwelcher Haushaltsquatsch, von dem man nicht weiß, wo man den kaufen soll – Karstadt wird das schon haben. Und zwei Jahre Garantie ohne wenn und aber. Die Lebensmittelabteilung war in den besten Jahren des Kaufhauses ein lukullischer Tempel, und das bereits in Zeiten, als es die Mauer noch gab. In manchem heißen Sommer habe ich, um meine 45°-Einzimmer-Wohnung in Neukoelln nicht betreten zu müssen, ein paar Stunden bei Karstadt verbracht und die Air Condition genossen. Mich von Fachpersonal beraten lassen, welche Waschmaschine und welchen Allesreiniger ich erwerben soll. In den schlimmsten sozialphobischen Zeiten gab es nur zwei Läden, die ich ohne Panikattacke betreten konnte: Karstadt Hermannplatz und Dussmann.

Karstadt kam mir immer auch etwas altmodisch vor, aber auf eine ganz angenehme Art. Bürgerlich, gepflegt. Wie Verwandtschaft, mit der man wenig zu tun hat, die man aber trotzdem gerne trifft. Im letzten Winter ist es mir aufgefallen – es waren fast nur noch alte Omis mit Frisuren wie Teppichmuster, dafür aber im Pelzmäntelchen aus den 80ern unterwegs, die am Butter Lindner-Stand ihre Witwenpension verjubelt haben. Selbst Samstags um 13.00 Uhr konnt man bequem sein Wägelchen durch die leeren Flure schieben. Ich erinnere mich an Studentenzeiten, wo man noch ganz schnell vor Ladenschluss (damals 13.00 Uhr, wenn ich mich recht entsinne) zu Karstadt musste, um Lutter & Wegner für´s Wochenende zu besorgen. Die Schlangen an den Kassen waren legendär und das Cruising fing damals schon mittags an, als man noch die Spuren von Freitagnacht im Gesicht trug.

Nun denn, wie ungeil Geiz ist sieht man jetzt. Karstadt kann die Miete nicht zahlen, weil selbst der letzte Rentner seinen Scheiß bei Ebay ersteigert. Das Geld, das sich auf dem Konto dieser letzten reichen Rentnergeneration stapelt, daraus macht man Schulterpolster für´s Totenleibchen, denn die Beerdigung hat man schon beim Sargdiscounter arrangiert.

Ich war am Samstag jedenfalls noch einmal in der Lebensmittelabteilung und habe mir Avocados, Maracuyas und Feigen für 2 Euro das Stück gekauft. Was nützen mir die Billigsupermärkte in walking-distance, in denen ich zwar Spargel für 99 Cent bekomme, wo aber Sauce Hollandaise nur in Tetrapacks angeboten wird?

Wenn Karstadt den Bach runtergeht, dann ist auch eine Ära vorbei. Mir wird sie fehlen.

6 Gedanken zu „GLAMALTRUISM oder REQUIEM FOR KARSTADT

  1. luckystrike

    Obwohl ich Kaufhäuser generell nciht so mag und auch nicht oft bei karstadt einkaufe (bei der Einteilung der Lebensmittelabteilung wäre allerdings Trennkost gar kein Problem, man findet nämlich immer gar nichts und vergißt deswegen die Hälfte) habe ich meinen Riesen-Flachbild-Hartz-4-Emfänger extra dort gekauft, und absichtlich nicht bei einem dieser Sauläden.

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  2. kittykoma

    es geht mir ähnlich. karstadt am hermannplatz und wertheim am kudamm waren meine kaufhäuser, nachdem ich in den westen umgezogen war. dort habe ich mich am hermann platz mit türkinnen beim winterschlußverkauf um billige mäntel geprügelt und in den letzten jahren das eine oder andere hochwertige haushaltsteil erstanden.
    was mir auffiel war, daß die verkäuferinnen mit ihrem sortiment alterten oder denselben migrationshintergrund hatten wie die käuferinnen der grellbunten blusen auf der stange, für die ich mich nun wirklich nicht interessierte..

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  3. Modeste

    Ein Teil des Anfangs vom Ende war das Shop-in-Shop-System, mit dem Warenhäuser mit Boutiquen mithalten wollten. Auf einmal gab es keine langen Stangen mehr, auf denen alle schwarzen Röcke aller Fabrikate hingen. Statt dessen gab es nur noch Pseudoboutiquen, und auf der Suche nach einem Kostüm musste man durch den ganzen Laden. Ich habe das beizeiten eingestellt. Am Ende blieb dann tatsächlich nur noch die die Haushaltswarenabteilung und die Stoffe, aber auch da – man kauft zu oft entweder ganz billig bei IKEA, ganz alt auf dem Flohmarkt oder ganz teuer in den hübschen Küchen- oder Stoffstudios. Mir wird Karstadt nicht mehr fehlen, ich war inzwischen Jahre nicht mehr da.

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  4. timanfaya

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    ich wohne ein paar minuten entfernt vom sog. flaggship store des unternehmens. der ist so sehenswert, dass er bei eröffnung bzw. nach umbau sogar in den meisten design zeitschriften genannt wurde. genutzt hat das natürlich nix. aber deswegen – so hoffe ich – wird er bleiben. shop in shop hin oder her – ich bin halt mehr karstadt als galeria typ …

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  5. glamourdick

    REPLY:
    bei mir liegt karstadt auf dem arbeitsweg und – abgesehen von den oben beschrieben vorzügen – ich finde es so angenehm, statt in drei ramschschläden (mediamarkt, schlecker, plus) in einen großen karton zu gehen, wo ich alles bekomme. außerdem gefiel mir auch dieser ausflug in die bürgerliche welt, eine erdung oder das gegenteil, ich weiß nicht. ikea ist so demokratisch.

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  6. larousse

    „alte Omis mit Frisuren wie Teppichmuster“ – genau das!
    Es ist das erste mal, dass ich so etwas wie Erleichterung verspüre, weil für luxemburgische Verhältnisse schon fast kosmopolite Läden wie Karstadt nie den Sprung über die Grenze geschafft haben – so können sie mir wenigstens nicht noch mehr fehlen, als sie dies eh schon tun – und ich steh nicht mehr alleine da mit diesem Gefühl.
    Wo ich meine Kunert kaufen soll, bleibt mir weiterhin ein Rätsel. Nun wahrscheinlich auf immer.

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