Ich schaue mir gern Waren an. Tage an denen ich an einem DVD-Regal vorbeigehe, ohne etwas zu finden sind frustrierend. Dann komme ich manchmal in Versuchung, einen Film, den ich schon habe, ein zweites Mal zu kaufen, vor allem wenn es sich um ein Sonderangebot handelt -das ist ein bisschen wie mit Mel Gibson in „Conspiracy Theory“, wo er programmiert ist, den „Fänger im Roggen“ (RIP) zu kaufen. Anhand des Barcode-Scans lokalisiert ihn dann die CIA oder so. Sonderangebotsliebingsfilme tun mir immer Leid, ich möchte ihnen die Scham ersparen, sie befreien. Es kostet mich Anstrengung, nicht zuzugreifen. Waren anschauen ist eine zielorientierte Bewegung. Darin fühle ich mich sicher, in Kontrolle. Selbst die Wege von einem Waren anbietenden Ort zum nächsten kommen mir sicher vor. Die Menschen um mich herum nehme ich eigentlich nur als etwas wahr, das sich mir und den Waren in den Weg stellt oder mich mit blöden Touri-Rucksäcken anrempelt. Nur manchmal, sagen wir auf dem Weg von American Apparel via H&M zu Saturn, laufe ich durch eine Mall und schaue mir die anderen Leute an. So ganz gewöhnliche Steuer und Miete pünktlich zahlende hart arbeitende gepflegte Menschen mit Frisuren, für die es kaum noch Friseure gibt, in vernünftigen Jacken, in denen man nicht friert, mit Schuhen wie unnütze Architektur. Sie tragen Schmuck, der nicht von Tiffany stammt oder aus dem KaDeWe, haben Tempotaschentücher in ihren hellbraunen Lederhandtaschen, Kinder auf der Realschule, wobei der jüngste vielleicht ausschert, sie sitzen nie allein, sondern zu zweit dritt sogar bis fünft an einem Tisch in einem restaurant-vorgebenden Imbiss in der Mall, und wenn ich nach Saturn und Hugendubel den gleichen Weg zurückgehe, dann sind sie weg, dann sitzen da andere Menschen, die ähnlich aufgeräumt wirken, mit Tüten von Rossmann und Kaisers, vor schwarzem Kaffee und Speisen, die mit Soße gereicht werden. Und ich zahle nun weder meine Miete pünktlich, noch finde ich in meiner zugemüllten Tasche je auf Anhieb, was ich suche, die Vernunft, wirtschaftlich zu denken und vorausschauend zu planen ist bei mir nicht angelegt, ich habe nicht einmal eine Kaffeemaschine, wenn man den Senseo nicht mitrechnet und der zählt hier nicht, weil es ein Ein-Mann-bestenfalls-zwei-kleine-Tässchen-für-zwei-Kaffeegerät ist, diese Menschen würden hysterisch werden angesichts meiner Teppiche, des defekten Autotürschlosses, der Anzahl von Abbildungen erigierter Schwänze an meinen Wänden, des Mangels an Aufgeräumtheit in meinem Leben, und trotzdem tun sie mir ein bisschen mehr Leid als ich mir selber, aber das ist vielleicht egoistischer Darwinismus. Dass ich fest daran glaube, dass mein leicht entgleistes Leben mir mehr Freude macht, als ihnen das ihre, ordentliche.
Ich bin schon mit den Mustern aufgewachsen, die in ein solches geordnetes Leben münden. Aber ich habe sie, kaum pubertär, als Kompromisskonstrukt, reich an Verlogenheit und voll von Druck erlebt. Dass das nichts für mich ist, wusste ich früh. Was anstelle dessen sein würde hat sich von selbst ergeben. Ich war auf mein Leben nicht vorbereitet, aber, wenn man mal von der schlechten Zahlungsmoral, was Miete und Steuern anbelangt absieht, bin ich doch eigentlich ganz gut geworden, including some slightly mysterious bruises.
Es ist AUCH nicht einfach, so ein gebügelter Mensch ohne abgetretene Absätze zu sein, mit kalligrafisch beschrifteter selbstgemachter Orangenmarmelade, immer ausreichend Aspirin und Pflaster im Haus und ohne auch nur EIN defektes Elektrogerät – glauben Sie mir. (Weint.)
REPLY:
davon bin ich überzeugt, und davor hut ab. vielleicht wollte ich mich bloß ein bisschen vor mir selbst rechtfertigen. beide lebensentwürfe sucken ein bisschen. beide sind auf ihre art beneidenswert. it´s all about milking the cow, und manchmal muss man sie auch ein bisschen streicheln, damit es eine glückliche kuh bleibt.