Die Familie ist in der Kirche und ich bereite das Christmas Dinner vor. Als ich eine Schale aus dem Schrank nehme, fällt auch gleich ein Eierbecher mit heraus und zerbricht auf dem Küchentresen. Ich kehre die Scherben zusammen und lasse sie liegen, damit ich nicht vergesse meiner Schwester von meinem Unfall zu berichten und sie nach dem Herstellernamen zu fragen, damit ich den Eierbecher ersetzen kann.
Natürlich vergesse ich es dann doch, zu erwähnen, und sie sieht die Scherben, bevor ich etwas sagen kann.
„Oh NEIN – der schöne Eierbecher“
„Ach, hatte ich vergessen, den ersetze ich natürlich – ich hatte ihn extra nicht weggeworfen, damit ich drank denke.“
„Weißt Du wie teuer der war?“
„Das ist doch egal, ich ersetze ihn Dir.“
„Nein, so meinte ich das gar nicht, den musst Du nicht ersetzen. Wenn mir das selbst passiert wäre, dann würde ich den auch nicht nachkaufen aber ich hab den runtergesetzt gefunden, und ich würde mir sonst sowas Teures gar nicht kaufen.“
„Ich sagte doch – ich ersetze ihn.“
„Nein, Du musst ihn aber nicht ersetzen.“
„Ich möchte ihn aber gern ersetzen“ damit endlich das Thema vom Tisch ist. „Ich weiß, wie es ist, wenn einem ein Lieblingsstück kaputt gemacht wird. Als meine Mitbewohnerin die Waechtersbach zertrümmert hat war ich auch sauer.“
„Ich bin aber nicht sauer, nur-„
„Ich möchte Dich einfach nur bitten, mir den Hersteller aufzuschreiben.“
Eine Stunde später.
„Und, Glam, es tut mir Leid, wie ich Dich auf den Eierbecher angesprochen habe. Und Du brauchst ihn mir selbstverständlich NICHT zu ersetzen.“
Beim Abschied.
„Und wegen dem Eierbecher-„
Als wir zurück im Haus meiner Eltern sind, fange ich an zu heulen. Berechtigt fragen sie, was denn eigentlich los sei.
„Wenn sie einmal mehr den Eierbecher angesprochen hätte, dann hätte ich dort schon geheult. Wie kann sie mich den ganzen Abend immer wieder darauf ansprechen?“
„Aber das ist doch eine Lappalie!“
„Das ist keine Lappalie, wenn man schon total zermürbt ist von Hochsaison, ständigem Stress, ich wollte einfach einen schönen Abend und nicht die ganze Zeit hören, dass ich etwas Wertvolles kaputt gemacht habe. Und sie hätte nach dem ersten „Ich ersetze ihn“ aufhören können, dann hätte es vielleicht noch ne Chance gegeben. Dass das eigentlich kein Grund zum Heulen ist, weiß ich auch, aber es hilft ja nichts, die Chancen, dass Weihnachten mit der Familie zum Refugium oder zur Katastrophe werden: 50:50. Dieses Mal also Katastrophe. Wie, um den Ball weiterzugeben wächst sich meine Heulattacke zum Beichtstuhl aus. Ausverkauf. Alles muss raus. So, jetzt weine nicht nur ich. Dann fällt ein böses Wort, nein – nicht Eierbecher -und
„Das reicht. Ich bleib nicht bis zum Sonntag. Ich fahre morgen.“
Der Wecker klingelt um 6.00. Ziemlich dunkel. Und da ist diese dicke Eisschicht auf meinem Wagen. Daran hat sich auch um 7.00 nichts geändert. Ich schäme mich für meinen Ausbruch, dann aber auch wieder nicht. Irgendwann mittendrin habe ich versucht zu erklären, es ist die Nähe zum Abgrund, ein Schubser und ich schreie bei der Talfahrt.
„Aber woher sollen wir wissen?“
„Zuhören, wenn Ihr fragt wie´s mir geht und was ich mache?“
Wir schleichen um einander herum. Mein Vater kommt in mein Zimmer. „Du bist in einem Punkt wie Deine Mutter – so nachtragend. Du hast keine Ahnung, wie oft ich da auf sie zugehen muss.“
„Papa. Ich BIN nachtragend. Aber gestern habe ich mich den ganzen Abend zusammengerissen, um Euch Weihnachten nicht zu ruinieren. Dass es dann doch noch geschehen ist tut mir Leid. Aber ich habe gerade keine Kraft mehr.“
Irgendwie kriegen wir es sortiert. Ich bleibe noch bis zum Mittagessen, die Abfahrt einen Tag verfrüht macht Sinn wegen der Wetterverhältnisse. Und weil ich wirklich noch einen Tag Ruhe brauche und nicht direkt von der Eisautobahn ins Büro möchte. (Ja, der zweite Feiertag ist ein Arbeitstag für mich.)
Wir stehen im Schnee, das Auto ist enteist. Mein Vater nimmt mich in den Arm und sagt etwas was ich noch nie von ihm gehört habe. Normalerweise beginnt dieser Satz mit „Wir“ und wird von meiner Mutter gesagt.
„Glam, ich hab Dich lieb.“ Und wir halten uns im Arm und er lässt gar nicht los. „Und ich bewundere Dich für Deine Disziplin.“
Wieder laufen Tränen.
„Ich hab Dich auch lieb, Papa.“
Und dann fahre ich, auf den Straßen ist Eis und Schnee; erst, als ich auf die A2 Richtung Berlin komme, wird es etwas besser.
Zuhören, wenn Ihr fragt wie´s mir geht
Darum ging bei mir im gestrigen Eltern-Kind-Gespräch auch.
Überlege schon seit zwanzig Minuten, was ich in dieses Kommentarfeld schreiben könnte, um auszudrücken, wie sehr mich der vorletzte Absatz berührt hat.
REPLY:
message understood.
manchmal ist gut gemeint halt wirklich das gegenteil von gut. speziell innerfamiliär …
Wieder laufen Tränen!
REPLY:
ich sehne mich auch nach ein wenig weniger aufregung und drama. immerhin, wenn es sich löst wie vorgestern, dann kann ich nicht klagen.