TEENAGE WILDLIFE

Eine komplette Woche in der Familie dürfte mindestens ein Jahrzehnt her sein. Wenn ich mal eine Woche da war, dann um das Haus zu sitten oder wenn ein Elternteil im Krankenhaus war. Letzte Woche war also ziemlich ungewöhnlich und dafür ziemlich gut. Es gab mal einen Punkt, wo ich Rückzug brauchte, den nahm ich mir dann und dann war´s auch wieder gut. Ansonsten waren wir zumeist froh, zusammen zu sein. (Sie müssen bedenken, dass ich ein ziemlich kontaktarmes Leben lebe – nach dem Job habe ich selten Lust, noch zu telefonieren, und ausgehen wird auch immer seltener. Wenn ich abends nach Hause komme muss ich mich auf niemanden einstellen, kein Programm abgleichen, keinen Tagesbericht abliefern, nicht zuhören.)

Dass das Wochenende dann im Abiball gipfelte war dann auch nochmal herausragend – 600 Gäste, die Schlange zum Buffet mit ca 30 Minuten Wartezeit. Alles ohne Andeutung von Panik, was natürlich auch damit zu tun hatte, dass ich nicht allein war und mich in der Schwesternfamilie sehr gut aufgehoben gefühlt habe.
„Du warst auf der Party zu meinem 18. Geburtstag“, sagt mir die Mutter der besten Freundin des Patenkindes und ich frage mich, was ich noch alles vergessen habe aus meinem Teenage. In Erinnerung bleibt dieser letzte Sommer nach dem Abi vor dem Wegzug nach Berlin, in dem wir die Nächte zum Tag gemacht haben, tanzten, auf langen Autofahrten von Hannover oder Braunschweig zu The Smiths oder The Cure im Radio mitsangen, wo alles Schwere (die Schule) abfiel oder entglitt, wo für ein paar Wochen alles leicht und heiter und pur gegenwärtig war und die Zukunft um die Ecke wartete, voller Verheißung, aber ohne Versprechen. In Gestalt von diesem Berlin, der Stadt, von der wir uns das Größtmögliche erhofften, ohne einen echten Plan. Es gibt zwei Sachen, die ich anders machen würde. Die Erste – zurückschlagen, auch wenn in der Minderheit. Auf die Weichteile, in die Augen, dahin wo´s wehtut. Wie eine Furie drauf losgehen und nicht aufhören bis der Angreifer am Boden liegt. Und winselt. Und begreift, dass er der Unterlegene ist. Die Zweite: einen Plan machen. Die Zukunft abgleichen mit meinen Fähigkeiten und Vorlieben. Am Samstag hielt der Vertrauenslehrer auf dem Ball eine Rede. Es war gleichzeitig seine Abschiedsrede – er geht nach Ablauf des Schuljahres in Pension. Er hatte schon mich in Mathe unterrichtet (es zumindest versucht) und ist einer der besten Pädagogen, die mir je untergekommen sind. Unterm Strich, empfahl er seinen Schüler, tut das, was Ihr liebt. Unterm Strich bin ich dahin gekommen, über viele unnütze Umwege und über Berge und durch Täler. Aber ein bisschen Planung zur rechten Zeit hätte mir viel Mühe erspart. Der Wunsch, wegzukommen aus diesem Teenage, das erst zum Ende hin eine gewisse Leichtigkeit bekommen hatte, überschattete alles andere.

3 Gedanken zu „TEENAGE WILDLIFE

  1. raketenprinz

    rückblickend hätte ich auch dem physischen argument mehr raum geben sollen. und ja: ein plan hätte auch geholfen. aber beides, und die damit verbundenen umwege, berge und täler, sind rückblickend einfacher zu überschauen als in der jugend. und vielleicht haben sie uns zu dem gemacht, was wir heute sind, auch wenn die unbeschwertheit auf der strecke geblieben ist. und wegkommen – ja, dieses primäre bedürfnis, diese notwendigkeit gar, die erinnere ich gut.

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  2. Frau-Irgendwas-ist-immer

    Oh, ohne Umwege, Berge und Täler geht das Leben nicht! Ich denke, sollte es jemanden geben der alles geradeaus und 100%tig durchgeplant durchbekommen hat, hat am Ende seines Weges viel verpasst!

    Immer wieder schön zu lesen, das viele so unbedingt nach Berlin wollten/wollen. Ich bin mit 16 Jahren fort gegangen, für 5 lange Jahre, aber es war wichtig, richtig und lehrreich.

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