KATE BUSH: BEFORE THE DAWN, SEPT 16TH & 17TH

Auch nach einem viertel Jahr der Vorfreude, des Fieberns, des Ausmalen verschiedenster Szenarios, die das Lebensereignis verhindern könnten, des Spekulierens über die Setlist, wie wird Kate aussehen, wie wird sie es aushalten – und auch noch nach der Premiere, den detaillierten, furiosen Rezensionen (the Comeback of all Comebacks) – man ist vielleicht ein bisschen vorbereitet, vielleicht auch äußerst gut vorbereitet, aber wirklich nichts ist Vorbereitung genug, wenn es dann endlich geschieht und sie die Bühne betritt und die erste einer langen Reihe von standing ovations bekommt. Allein ihre Präsenz ist Anlass für größtmögliche und dennoch steigerbare Freude im Publikum. Es ist alles geschrieben über die Show, mittlerweile. Wir hatten am 16. und 17. September die Ehre und mit uns ein äußerst dezent filmendes Drehteam, das die drei großartigen Akte von Before the Dawn für die Zukunft aufzeichnete. Lily, oh Lily I don´t feel safe, I feel that life has blown a great big hole through me… sind die ersten Worte, die sie singt, und die elegant erklären, weshalb sie sich 1993 zunächst einmal von ihrer großen Kunst zurückzog und so ein noch größeres Loch in die Welt riss. Einen besseren Opener hätte sie nicht wählen können für ihre Rückkehr. Sie reißt uns mit und hin, da steht sie, atmet die gleiche Luft wie wir und verstohlen schaue ich um mich, wer noch alles weint, es sind nicht wenige. Bei Running up that Hill kann auch ich mich nicht mehr zurückhalten und es wundert mich gleichzeitig, dass es ausgerechnet dieses Lied ist, das eigentlich so schlicht und treffend die Misere schildert, wie es manchmal unmöglich ist, sich in den geliebten Menschen hinein zu versetzen, aber genau das müsste man – Körper switchen, um zu begreifen, wie er oder sie fühlt. Als wirbelnde Pergamentfetzchen mit Tennyson-Zitat aus einer Kanone ins Publikum geschossen werden, sich über das gesamte Parkett verteilen, wir die Arme hochreißen, um ein Memento mitzunehmen, beginnt das zweite Konzert, „The Ninth Wave“ – und wie das wehtut, und begeistert – das Drama der ertrinkende Frau, von Bord gespült, das Aufgeben, Wegtauchen, gegen den Tod im Wasser ankämpfen, am Ende in die Tiefe abgleiten und sich von der Welt verabschieden – es ist so bewegend inszeniert, so detailreich und doch schlicht, und es wird getragen von dieser reichen, reifen Stimme, die uns auf einen einzigartigen Trip mitgenommen hat, uns einen Untergang präsentiert, nur um uns mit „The Morning Fog“ (in einer entspannten, warmen Fassung) mit Leben und Tod zu versöhnen. Do you know what? I love you better now, da blickt sie uns an und unser Jubel ist eine Antwort und Umarmung für sie.

In der Pause Menschen mit seligen Smiles. Einige, die das Schluchzen kaum verhindern können. Rote Augen, glücklich glänzende, man schaut sich an und lächelt. Strike und ich nehmen uns in den Arm und dann trinken wir Cider und versuchen, Worte zu finden.

Den zweiten Akt,A Sky of Honey, und die Verbindung mit dem ersten, den entschlüsseln wir erst am zweiten Abend, nach dem Konzert, als wir in der Raucher-Spinnen-Höhle des Mini-Gartens in der Beryl-Road, 5 Minuten Fußweg zum Hammersmith, sitzen, rauchen, essen, trinken und reden. Jeder bringt Details ein und Theorien, was Kate uns damit sagen will. Die Gliederpuppe, die, die Möwe tötet – ein coming-of-age-Sündenfall. Die Puppe, wie sie plötzlich und dezent verstörend ohne Puppenspieler über die Bühne rennt. Wie alles in A Sky of Honey nach oben strebt, wo es in der Ninth Wave in die Tiefe zieht. Vom inneren Aufruhr und der Begeisterung, die das allerletzte Bild des dritten Aktes auslöst, das auch nur kurz gezeigt wird, wie ein Teaser, und sich um so heftiger einprägt. Apotheose.

Am zweiten Tag sind wir ja schon Profis. Ich überstehe Running up that Hill tränenfrei und freue mich, dass die Augen sich so auf das Wesentliche konzentrieren können. Unerwartet erwischt es mich dann aber bei Top of the City, wo die Hochhäuser der Hügel sind, gegen den man anrennt, um es ans Firmament zu schaffen, up on the angel´s shoulder. Es ist an diesem Abend keine innere Unruhe mehr da, wie am ersten. Ich kann die Show mit mehr Aufmerksamkeit für Details betrachten, denn das, was da auf der Bühne ist, ist alles Kate, auch wenn sie als Person sich selten in den Vordergrund stellt, was auch ihre schwarzen Kostüme unterstreichen. Für drei Stunden, und für den lang anhaltenden Nachklang, befinden wir uns in der künstlerischen Vorstellungskraft der Kate Bush – und diese deckt ein weites Spektrum an Emotionen, Erfahrungen, Ängsten und Sehnsüchten ab. Die Frau auf der Bühne erscheint als ruhiges Zentrum dieses Sturms oder dieser schillernden Aureole, die uns nicht nur musikalisch packt, sondern uns auch emotional souverän führt. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele glückliche Menschen gesehen, wie nach dem Konzert von Kate. Es wird vermutlich auch das letzte Mal sein, dass sie sich live präsentiert, aber wir verlassen London glückselig saturiert, wir waren dabei, zwei Mal, bei einem unvergesslich schönen Event, der die Messlatte für musikalische Präsentation sehr sehr hoch gelegt hat neu definiert.

5 Gedanken zu „KATE BUSH: BEFORE THE DAWN, SEPT 16TH & 17TH

  1. Thomas

    Du hast es ganz großartig in Worte gefasst. Ich habe es sehr ähnlich empfunden und wünschte, ich hätte auch 2 Tage gebucht. Ich war emotional so ergriffen, das ich nicht in der Lage war, alles richtig aufzunehmen und zu erfassen…

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