MAGMA 2003

Eine viertel Stunde lang Bla Bla Bla, was er in Berlin gemacht hat, dass er gerade von einer Ausstellungseröffnung kommt (von einer Ausstellung, deren Titel er vergessen hat – „hi hi“), seine Schwester sei ja auch gerade in der Stadt und ob ich was von den vegetarischen Sushi möchte, danke nein. Seine Haare sind ab. Die Haare durch die meine Hände sehr zu seiner Freude gegangen sind. Er liebte es, wenn man daran riss, zog, zerrte. Ab. Der Versuch einer eleganten Beleidigung: ich deute auf seine Frisur und sage: „Ein Statement?“
Darauf: „Also die Karin und der Amir… und Irokesenschnitt … Abitreffen habe ich mich dann doch dagegen entschieden… weiß auch nicht was das ist.“ Strahlt. Ich streich mir durchs (lange) Haar und befeuchte meine Lippen. Er sieht trotz der selbstkasteienden Scheißfrisur gut aus. Reicht mir mein Handtuch rüber und die zwei Videotapes („One fine day“ und „Hush hush sweet Charlotte“ mit Bette Davis. Komisch – bei „Hush hush…“ rollt doch irgendwann ein Kopf die Treppe herab und war nicht mein Lieblings-Ex-Abführungs-Gedanke ein Schrotgewehr gegen seinen Kopf? Eins dass ich abfeuere?)
Weiterer Small-Talk seinerseits. Stellung in der Firma ausgebaut. Den ganzen Sommer über zwei Jobs gemacht, damit die Kohle stimmt. Keine Zeit gehabt, nachzudenken über die Trennung. Ich lächle, rauche, trinke einen ziemlich leckeren Chardonnay. Irgendwann dann:
„Ich dachte da ist noch Gesprächsbedarf. In deinem letzten Brief, da stehen Sachen drin, deine Sicht der Dinge. Das war so nicht richtig.“
„Ich habe keine Ahnung, was ich vor zwei Monaten geschrieben habe.“ Aber dass es ihm nicht gepasst hat, da kann ich mir sicher sein.
Jetzt mein Monolog der vergangenen zwei Monate. Wie es mir eine Woche ganz beschissen ging, ich dann ein seltsames Hoch bekam und alles in die Hand nahm – Konzepte verschickte, Bücher beendete, die Zukunft in die Wege leitete und wie dann zwei Monate später sich wenig ergeben hatte aus dieser Aktion. Das gute Feedback bislang ausgeblieben war. Eigentlich keine schlechte Prognose, aber ein angemürbtes Durchwaten von Zeit: Ab-warten. Und dann kam sein Anruf, er sei in Berlin und möchte mich sehen. Erst zugesagt. Dann abgesagt. Dann wieder zugesagt, weil es mir eh schon beschissen ging und warum nicht auch dies noch mitnehmen? Er verwagt sich an einer Beurteilung meiner Lebenssituation:
„Ich glaube, Du bringst da wieder zwei Sachen zusammen, die nicht zusammen gehören.“
Wie uns?
„Beruflich und privat.“

„Du hast so kleine Augen.“
„Ich habe vorhin geschlafen. Dann sind die immer so“
Immer, wenn wir uns eine Weile nicht gesehen haben, sagte er „Du hast so kleine Augen.“ Er hatte sie wahrscheinlich einfach immer falsch in Erinnerung. Größer halt. Aber dies sind nun mal meine Augen. Die, von denen er nicht mehr wollte, dass sie ihm beim Orgasmus zuschauen.
Was wollte ich von diesem Treffen? Eigentlich nur klarstellen, dass es keine weiteren dergleichen geben würde. Natürlich ihn sehen. Verführen und mit nach Hause nehmen. Meine Wut ausdrücken. Aber was gibt mir das Recht – er mag mich, ich mag ihn etwas mehr. Der Klassiker. Und das was zwischen uns war, unsere Beziehung, das mochte er nicht mehr.
„Man nimmt jemanden kein zweites oder drittes mal mit nach Hause, wenn man sich unsicher ist.“ Ja, das war peinlich und ich merke es, während ich es ausspreche und beende den Satz mit „aber lassen wir das…“ Nicht ohne dann doch noch ebenso überflüssig hinzuzufügen „Es hat drei Jahre gedauert, bis ich jemanden wieder so nah an mich heran lassen konnte, und das warst leider Du.“
„Vielleicht war dieses Treffen keine gute Idee.“
„Da hast Du recht. Wenn Dir jemand sagt, dass er Zeit braucht und keinen Kontakt will und sich meldet, wenn er soweit ist, dann ist es keine gute Idee, anzurufen.“ Trotz Höflichkeit keine Bonuspunkte.
Das Licht ist gut hier. Und die Sushi sehen selbst für jemanden, der sie nicht mag, lecker aus. Er schiebt das Brett zur Seite. Ich sage ihm, dass ich nach der Trennung das erste mal seit langem das Bedürfnis hatte, den Ex vor ihm zu kontaktieren. Und das allererste Mal mit rein freundschaftlichen Absichten. Dass es mit ihm genau so sein wird. Erst wenn der nächste da ist, ist er peripher genug um möglicherweise als Freund durchzugehen. Sage nicht, dass ich eigentlich genug Freunde habe.
„Ich spüre ein emotionale Verhärtung.“
Ach.
Ich lebe sie, in diesem Moment, aber stärker noch ist der Strom verwichster Gefühle, der unter der harten Kruste wabert. Magma. Er sieht wieder nur die Fassade, wie immer. Die glatte Front mit den zu kleinen Augen. Ahnt nicht, wie es dahinter tobt. Kann das sein? Ich dachte immer, ich sei ziemlich transparent. Ist das wieder nur eine seiner Selbstschutzmaßnahmen, damit er keine Verantwortung dafür übernehmen muss? Was er weiß macht ihn nicht heiß.
Ich packe meine Zigaretten ein. Die Tasche ist wegen des Handtuchs und der Videos schon ziemlich überfüllt.
Eine Frage habe ich noch. „Hast Du wirklich geglaubt, dass wir hier sitzen, uns in die Arme nehmen und auf einmal beste Freunde sind?“
„Dass wir nachher nicht zusammen um die Häuser ziehen war mir schon klar.“
Aber Du hast es dir gewünscht. Wäre praktisch gewesen. Ich lege zwei Fünfer-Scheine auf den Tisch.
„Ich bleib noch hier.“
Ich will es nicht wissen. Gar nichts mehr. Von jemandem nichts wissen wollen… Will auch nicht, dass er in meiner Stadt ist, sich hier bewegt. Ist meine. Weg.
„Lass mal – nimm den einen Fünfer. Zwei Wein kosten doch nicht zehn Euro.“
Ich überlege, ob ich ihn darauf hinweise, dass dies Berlin ist, und nicht Düsseldorf, lasse es aber, nehme meine Tasche, die Jacke hatte ich eh nicht ausgezogen, und gehe. Die Straße entlang bis ein Taxi kommt. Auf Höhe der Post in der Skalitzer Straße öffne ich das Fenster und werfe das Handtuch heraus, nicht ohne vorher daran gerochen zu haben – sein Waschmittel und Rauch. Die Farbe hat mir noch nie gefallen, aber jemand hatte meinen Namen eingestickt. Ein Konfirmationsgeschenk. Strapazierfähige Maßanfertigung. Fahre ins SO 36, bestelle Jägermeister auf Eis. Ein blonder Typ in rotem T-Shirt strahlt mich an. Ich lächle zurück. Die Mechanismen funktionieren noch. Gehe zu ihm, beuge mich herab und sage „Es kann nicht angehen, dass mich jemand anlächelt. Es war ein Scheißtag heute.“ Gehe zum DJ , er spielt Cora Frost. Und muss weinen.

3 Gedanken zu „MAGMA 2003

  1. saoirse

    habe auch gerade beim lesen fette krokodilstränen in den augen gehabt und muss jetzt raus in die sonne, spazieren. aber eins weißt du sicher selbst: in düsseldorf sind getränke wesentlich teurer als in berlin!

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