IM SCHATTEN DES FERNSEHTURMS

Früher, Ende der 60er bis Ende der 90er gab es einen feierlichen Brauch – die Privatparty. Wenn die Elterngeneration in den 60er noch unter die Erde in sogenannte „Partykeller“ ging, dann trieb es meine Generation in ihrer Blüteprivatpartyzeit auf die Dächer über Berlin. Logisch, dass die Evolution der Privatparty (in Verbindung mit dem Euro und der Rezession) ein Ende setzte – feiere nicht so hoch, mein kleiner Freund! Parties machen Arbeit vorher und nachher und für den Gastgeber auch währenddessen. Parties kosten Geld und Gehirnzellen. Parties machen, dass Wohnungen noch tagelang riechen wie Harald Juhnke aus dem Mund. Also wurde die Privatparty weitestgehend abgeschafft und an ihre Stelle trat – der UMZUG. In Zusammenhang mit Rezession, wachsenden Mieten für Dachgeschosse, dem Euro usw. begab es sich, dass der Mensch seinen direkten Lebensraum verkleinern musste. Parties feierte man jetzt gegen Eintritt an anderen, nun wieder häufig unterirdischen Orten. Der Aspekt der Privatheit verkam. Also, auch angesichts des Euro und der Rezession, nahm man die Gelegenheit beim Schopf, die Party mit dem privat durchgeführten Umzug zu ersetzen.
„Was machst du am Wochenende?“
„Ach, gar nichts. Ich muss früh raus – XY beim Umzug helfen.“
„Ist doch toll!“
Man trifft bei Umzügen immer nette Menschen. Man hat immer ein einigendes Thema „Scheiße – mein Rücken!“ oder „Die sitzen da jetzt nicht schon ne Stunde und trinken Kaffee, oder???“, man bekommt etwas zu Essen (meist Kartoffelsalat und Würschtchen), zu trinken (Flaschenbier) und kann man Abend eines langen Tages mit dem Gefühl ins Bett gehen, nicht nur sozial aktiv gewesen, sondern auch etwas geschafft zu haben.
Franks Umzug gestern war der bestbesetzte, den ich je erlebt habe. Attraktiv, muskulös, humorvoll, meist gut frisiert, gut gekleidet, weitestgehend tatkräftig. Abzugpunkte gibt es nur für die Abwesenheit der Sackkarre und die Abwesenheit von Flaschenbier. Die Gemüsesuppe war delicious, die kleinen Astronautenpacks, gefüllt mit stark gesüßtem Obstmus eine trendige Idee und die Pointe des Tages das Ankommen des Umzugsverschuldenden Ex-Freundes, wegen dem die alte Wohnung hatte aufgegeben werden müssen und der bislang keinerlei Unterstützung beim Auszug gegeben hatte. Diese Ankunft nun also erfolgte zeitgleich mit dem Antransport des letzten Gegenstandes aus der alten Wohnung in die Neue: der Washing machiiiiiiiine. Schwamm drüber.
Ich freue mich auf neue Berichterstattung am Ereignishorizont, denn die neuen Nachbarn scheinen gutes Material zu liefern: die Dame gegenüber: „Ach Tachchen – über mich hamse schon nen Film jedreht – wie ick hier wohne.“ Der gepflegte Rentner „Meine Frau und ich wohnen jetzt seit 40 Jahren hier und sind sehr zufrieden. Es wird Ihnen hier gefallen!“ Und (mein persönliches Highlight): der Asiat, der (vorsichtshalber) schon im Aufzug den Motorradhelm trug. Die Reality-Soap ist vorprogrammiert und wird unter obiger Headline sicher spätestens 2008 auf Sat1 laufen.

16 Gedanken zu „IM SCHATTEN DES FERNSEHTURMS

  1. frankburkhard

    where all the lights are bright!
    Downtown, there is a place to go
    oder so.
    heute morgen hab ich die augen aufgemacht, da stand der schaft des fernsehturms gegen einen azurnen himmel und wurde von der aufgehenden sonne in leuchtendes orange getaucht, von ganz weit weg presste ein lufthammer arbeitsatmosphäre durch das angekippte fenster und die stadt wurde mit mir wach.
    ich habe mein neues haus sogar schon getauft! weil ich gestern eine colaflasche vors fenster gelegt habe, denn erstens ist der kühlschrank noch nicht an und zweitens komm ich ja gar nicht an ihn ran – colaflasche. fenster (außentemperatur!) also, heute morgen so sack-kratzend, durstig zum fenster schlurf, ohne nachzudenken mach ich das fenster auf, da flutsch! fällt die flasche senkrecht und zerschellt auf der terasse ein paar meter tiefer.
    fand ich total süß đŸ™‚
    Alles war schön.
    Danke.

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  2. bittersweet choc

    das mit der alten dame interessiert mich: was ist das denn für ein haus, dass da das fernsehen reinspaziert? völlig kaputt oder denkmalschutzalleederkosmonauten?

    der asiate hatte bestimmt angst, dass ihr was auf seinen kopf fallen lasst. asiaten sind doch immer so klein.

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  3. brittbee

    War aber leida nicht weil ich nicht dauntaun war. Nicht mal intaun.

    Aber ich schleppe dafür mit, wenn es mal wieder downhill gehen sollte oder irgendwelche Wände irgendwie zu tupfen sind.

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  4. raketenprinz

    so einen attraktiven umzug will der prinz auch haben! auch wenn der prinz sich durch abwesenheit (auttaun) wahrscheinlich disqualifiziert hat: er will auch einen stylish umzug. er meldet hiermit schon mal offiziell an, dass er ende april umzieht.

    (ja, raus aus einem dachgeschoss: keine arbeit, keine angeberwohnung. dafür aber – jipiieeh – bald wieder zusammen mit pheerce!)

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  5. glamourdick

    REPLY:
    der hatte eher angst
    a) vor dem skinhead inder 6. etage oder
    b) vor dem karnevalsumzug (asiaten wissen das ja nicht automatisch, dass, wenn eine frau mit einer schere auf einen zustürmt, dass das an einem tag im jahr ein guter deutscher brauch ist.)

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  6. glamourdick

    REPLY:
    ich glaube, du solltest ein downseizing-coaching mit frank machen. oder einen kurs „wie bekomme ich 12 küchenmöbel in einen wandschrank und schaffe gleichzeitig noch übernachtungsmöglichkeiten für die verwandtschaft“.

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  7. pheerce

    REPLY:
    scheisse, hätte ich mal mein P-shirt angezogen! aber kein wunder, dass du mich nicht gesehen hast, denn der pheerce war ja auch ganz handwerkermässig immer mit dem kopf in einem küchenschrank, um selbigen rückzubauen. muss gestehen, so ein akkuschrauber inner hose gibt einem ganz dufte gefühle.

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  8. glamourdick

    REPLY:
    ich warne ausdrücklich vor der unsachgemäßen handhabung von haushaltswaren- und geräten. ich habe schon zu viele geschichten über staubsauger und shampooflaschen in verbindung mit dem begriff „notaufnahme“ gehört. ganz zu schweigen von kleintieren, mikrowellen und mixern.

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