GLAMS, NERDS, GEEKS

Die Presse findet ja, Blogs sind eine absolute Revolution und ultrahip. Wie kommt es also, dass ich in diesem Sommer, in dem ich so viele Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen kennenlere, immer wieder erklären muss, was es mit den Netztagebüchern auf sich hat? Und selbst wenn ich es erkläre, rüberkomme wie ein Geek?
„Also das ist wie ein Tagebuch oder eher ein kleines Magazin, das man herausbringt, nur das die Leute, die einen lesen, auch mitschreiben, in den Kommentaren.“
„Ah ja.“
„Das ist ganz doll, man macht das ein paar Monate und es ensteht ein Netzwerk. Menschen, die man größtenteils nur vom Schreiben kennt.“
„Die sitzen den ganzen Tag am Computer?“
„Weiß ich nicht. Aber wenn sie am Computer sitzen, dann schreiben sie wohl meistens auch.“
„Über was schreiben die denn?“
„Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Leute, die korrigieren die Fehler in der Bildzeitung. Eine Frau, die ganz tolle Filmkritiken schreibt und dann viele, die über Alltagserlebnisse schreiben, aber eben sehr pointiert, witzig, lakonisch. Da ist diese alleinerziehende Mutter in Hamburg beispielsweise, die schreibt so geil, dass ich mich jeden morgen wegschmeiße vor Lachen.“
„Und über was schreibst du?“
„Verrückte Filmstars, meine Neurosen, meine Freunde.“
„Und was bingt Dir das?“
„Klarheit, zum Beispiel. Und einen erweiterten Freundeskreis.“
„Ich dachte, die sitzen da nur rum und schreiben. Anonymität und so.“
„Nein, die treffen sich schon auch miteinander. Und das Schöne ist, dass Du dann Leuten gegenübersitzt, die Du über ihr Schreiben schon sehr gut kennst. Die aus ganz unterschiedlichen Sphären kommen, aber alle einen ziemlich klaren Blick auf ihre Umwelt haben. Und es werden täglich mehr! Kannst du dir vorstellen wie ein Riesensaal voller Stammtische, wo immer mehr Stühle dazu und hin und hergeschoben werden.“
„Gibt´s da Geld für?“
„Nein. Manche bekommen ein Auto geliehen.“
„Und Du, hast Du ein Auto bekommen?“
„Nein, aber ich hab ja auch schon eins.“
„Und warum machst Du das dann?“
„Das habe ich doch eben beschrieben.“

Ganz klar, auch wenn ich vor fast jedes Tagesaktivität mittlerweile „mit Blogger(n)“ setzen kann (mit Blogger gerudert, mit Bloggern Bier getrunken usw.) – nicht jeder wird in der nahen oder fernen Zukunft BlogbetreiberIn werden. Aber vielleicht geht es in die Richtung, dass in Zukunft herausragend betont werden muss „Nichtblogger zum Kaffee getroffen“ und die Welt, um die Bericht erstattet wird, sich in Blogger, Nichtblogger und Familienangehörige aufteilt. Für Nichtblogger hört sich das vermutlich so crazy an wie für mich die Kaballah. Doch vielleicht ist Bloggen auch eine Phase Lebensabschnitt wie eine Vereinsmitgliedschaft. Time will tell.

26 Gedanken zu „GLAMS, NERDS, GEEKS

  1. spango

    ich ermutige gerade ein paar meiner mitmenschen ihre ideen zu virtualisieren. wo gibt es sonst eine möglichkeit für ein feedback.

    und ich überlege in der tat, ob ich bei nichteinhaltung zu sanktionen greife.

    aber erklären musste ich das bloggen noch nie. da haben die meisten eh kein interesse dran gehabt.

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  2. Nashaupt

    Bloggen befriedigt das grundmenschliche, wenn nicht gar grundkreatürliche Bedürfnis, miteinander zu schnattern, mit neuen Mitteln und auf neuer Ebene.
    Als neu und die Kontaktaufnahme und -beendigung erleichternd empfinde ich vor allem die Ungebundenheit an Ort, Zeit, Geschlecht, Erscheinung. Entscheidend sind Inhalt und sprachlicher Stil.
    In alten Zeiten ohne elektronische Kommunikation fand auf den Marktplätzen statt, was hier durch die Blogs wieder neu ermöglicht wird.
    Der total ökonomisierte und von Marketingexperten auf Rechengrössen und Statistische Werte reduzierte ‚Markt‘ bietet genau diese – m.E. für eine Ökonomie wichtige – Möglichkeit nicht mehr. Die Blogebenen füllen die von den Marketingdienstlern in die Zivilisationen gerissene Lücke.
    Wie sich das auf die künftige Gestaltung der Märkte, der Arbeitswelt, die Wirtschaft insgesamt auswirken wird, bleibt zu beobachten.

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  3. lore.berlin

    Oh ja…

    Wie heißt das, Block (!) ?, nein blog, ach und das ist dann sowas wie ein Forum, ja ? Ja, genau, forget it !!!

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  4. timanfaya

    ich hab’s dran gegeben solche dinge der „normalen“ umwelt zu erklären. die haben ja im schnitt auch weniger zeit, da sie irgendwelche läden nach irgendwelche cds absuchen, die meistens nicht da sind …

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  5. raketenprinz

    des prinzens erfahrung ist ja, dass bloggen eine ähnlich scheidende wirkung hat wie früher mobiltelephonie oder elektronische post: the haves and the have-nots. und mit den have-nots hat man weniger zu tun, mangels zeitgemäßer erreichbarkeit oder ununterrichtetsein über den stand der dinge.

    und dennoch: der prinz hieß damals auch nicht handybesitzer oder emailer. und er sträubt sich ein wenig gegen das etikett blogger. das klingt wirklich nach sekte.

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  6. glamourdick

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    the digital divide! sehr schön. mir kam gerade der gedanke, dass nicht alle bloggen werden, da ja schreibtalent nicht so üppig gesät ist in pisaland. aber mangelndes talent hat noch niemanden abgehalten.

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  7. larousse

    wie beruhigend, nicht die einzige zu sein, die mit ihren erklärungen auf unverständnis stösst. und du hast das sehr schön erklärt! you have to practise to understand what it means.

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  8. raketenprinz

    REPLY:
    wahr geschrieben – zumal auch viele so gar nicht gerne lesen.
    herr dick, würden sie ihren blog zwecks massenkompatibilitätserhöhung auch in form einer nachmittagstalkshow darreichen? das könnte den durchbruch bedeuten!

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  9. glamourdick

    REPLY:
    und eigentlich bin ich auf den text gekommen, weil wir gestern im biergarten saßen und eine lange nicht gesehene alte bekannte dazustieß und wissen wollte woher wir uns kannten. dann seufzt die blogger-runde meist und einer tritt vor und startet obigen dialog. gestern anders.
    „blogs – klar. les ich jeden tag. wer seit ihr denn?“

    schön war das. hi eva! was real nice seeing you again!

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  10. brittbee

    Ich bin nun weiß Gott nicht die 1. auf jeder Welle. Wenn ich schon weiß, was Blogs sind und selbst eins habe, dann sollte es zur Allgemeinbildung gehören. Ich bin immer wieder erstaunt, wie uninteressiert und ignorant man durch´s Leben gehen kann.

    Meine sozialen Aktivitäten mit Bloggern habe ich sehr eingedampt. Reicht erstmal ne Weile. Wenn, dann treffe ich Leute, die mal Blogger waren und langsam in den Status „Freund“ übergehen.

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  11. glamourdick

    REPLY:
    das geht schon allein deshalb nicht, weil dann meine mutter anschalten könnte. einen computer hat sie nicht, deshalb kann ich diesen blog ohne rücksicht auf die eigenen mutter betreiben. ein nachmittalks-glam wäre dann also nur eine light-version. i start to get the point. i could be mainstream.

    aber wollen wir das?

    nein.

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  12. glamourdick

    REPLY:
    das kommt noch dazu – der freundeskreis wächst. aus freunden werden (zusätzlich noch) blogger und aus bloggern werden freunde. kuckma – vielleicht sollte ich doch ne schleimige talkshow machen: „put a little glam in dein herz“.

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  13. mai

    gerade vor 4 tagen jemandem erklär was ein blog ist und nur unverständlichen blick getroffen….. ich fühle gerade mal mit ihnen. aber erweitert durch frau britt versuche ich noch zu erklären was couchsurfing ist, dann gehen die augen noch weiter auf und der mund gleich mit dazu. seltsam ist nur, dass ich gerade durch diese betätigungen noch mehr mich ins reale leben stürze als nur am bildschirm zu sitzen…..

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  14. kathleen

    Glam, schön auf den Punkt. Merci.

    Und Mai hat vollkommen Recht. Man schaue sich nur – nach einer langen arbeitsintensiven Phase – diese meine Woche an:
    – heute Treffen im Freischwimmer
    – morgen Einladung zum Inder
    – übermorgen oder Freitag auf einen Wein
    – Samstag zu einer Geburtstagsfete
    Alles verschiedene Menschen, sämtlich Leute, die ich über die Blogs kennengelernt habe.

    Diese Netzwerkchancen sind es, die daran liebe. Man muß nicht jeden und alle gleich lieben, aber man lernt Menschen kennen, zu denen man irgendwie passt – und die man nie kennnengelernt hätte auf anderen Wegen. Schlicht mangels ähnlicher, auch räumlicher Sphähren im Alltag.

    Von wegen ’nur am Computer hocken‘!

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  15. tradem

    Habe mich köstlich amüsiert. Ich werde nun immer auf deinen Artikel hier verweisen, wenn ich wieder einmal erklären muß was es bedeutet einen Blog zu führen…. 😀

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  16. glamourdick

    REPLY:
    lieber nicht. ich habe nämlich, politisch völlig inkorrekt, schon wieder „der blog“ geschrieben statt „das blog“. aber meiner ist einer. ist so.

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