SICK

Seit vorgestern stürmt´s bei um die 18°C. Das Haus ist schon ausgekühlt, so dass es draußen wärmer ist als drinnen. So erklärt sich meine Erkältung, unterstützt noch vom Morgensport: Walnüsse sammeln, Bürgersteig und Gosse fegen (Walnussbäume machen enormen Müll), Apfelernte. Täglich ein paar Stunden an der frischen Luft arbeiten ist eigentlich eine schöne Sache. Man spart sich so auch das Fitness-Studio. Anderthalb Stunden sind mit Fahrten von nach Hause in die Klinik und zurück verbracht. Meine Mutter fährt an manchen Tagen zweimal hin und her. Zwei Stunden verbringen wir im Krankenhaus und gehen den Bettnachbarn meines Vaters auf den Geist. Aber solang er noch liegen muss, müssen wir uns bei ihm im Zimmer aufhalten. Gestern haben sie die Drainage-Schläuche im Rücken entfernt. Alles unter Schmerzen. Noch dazu die unnatürliche Wärme draußen, es ist keine schöne Zeit, in einem Krankenhaus zu sein (gibt es eine „passende“ Zeit? Nein.) Die Schmerzmittel zwingen seine Stimme in die Knie und er hasst es, sich so zu hören. Er hat auch nichts Gutes zu erzählen. Er versteht die Ärzte nicht, weil sie so leise sprechen. Also müssen die Ärzte uns alles noch einmal erzählen, worauf sie so gar keine Lust haben, sie haben schließlich mehr zu tun, als alles doppelt zu sagen. Die erste Visite fand am dritten Tag nach der OP statt. Lag halt ein Wochenende dazwischen. Aber bei der zweiten Ansprache reagieren sie sogar auf unsere Bitte, das Schmerzmittel zu wechseln, weil das gegenwärtige bei ihm Schweißausbrüche auslöst. Schweißausbrüche bei Bettlägerigkeit wären schon unangenehm genug, wenn sich nicht auch noch die Tagesschicht weigern würde, das Bett neu zu beziehen. Da muss man dann schon auf die Nachtschwester warten, wenn man keine Familie vor Ort hat. Gestern Abend fragte ihn die Krankenschwester, was er zu Abend essen wolle. „Brot, Wurst und Käse“ antwortete er. Sie reagierte nicht, weil sie im Gespräch mit der Kollegin war. Herrschte ihn dann an:
„Na, einen Versuch starte ich noch: WAS WOLLEN SIE ESSEN?“
„Hat er doch gerade gesagt“, die Kollegin.
Leider hatte er seine Brille nicht auf und weiß nicht, welche Schwester es war. Das Klinikpersonal gibt selbst uns Besuchern das Gefühl, Bittsteller mit unangemessenen Forderungen zu sein. Da können sie noch so oft von Klinik Klinik Klinik sprechen. Es ist und bleibt ein Krankenhaus. Wie lange er noch da bleiben muss, ob seine Reha gleich im Anschluss stattfindet und wo? Das konnte uns noch niemand sagen.

5 Gedanken zu „SICK

  1. fragmente

    Gut, daß Sie da sind. Stellen Sie sich mal vor, wie es wäre, wenn die Krankenschwestern wüßten, daß Ihr Vater keine Angehörigen hat. Wie sie dann mit ihm umgehen würden.
    Baldige Genesung, das wünsche ich von ganzem Herzen.

    Antworten
  2. katiza

    Meine Mutter liegt ebenfalls gerade im Krankenhaus – sie ist 75. Donnerstag fahre ich die 500 km zu ihr und dem Vater, um sie zu besuchen und ihn zu umsorgen. Ich bin bei Ihnen. Walnussbäume machen ungeheuer viel Arbeit – das ganze Jahr lang. Und man kann nie genug Walnüsse essen, dieser Arbeit gerecht zu werden.

    Antworten
  3. pheerce

    viel kraft wünsche ich dir auch!

    und vielleicht ist es dir ein kleiner trost: die selbstmordrate von pflegepersonal ist um den faktor 5 höher als beim durchschnitt.

    Antworten
  4. blogger.de:etosha33

    Das ist wohl das Unwürdigste an so einem Krankenhausaufenthalt: Das Zurückgeworfenwerden in die Unmündigkeit. Als hätte man mit der Erkrankung allein nicht schon genug zu kämpfen.

    Auch wenn ich oft hier lese, ist es schwer, was dazu zu sagen, weil ich dich ja nicht kenne, nicht weiß, woran du glaubst. Aber ich hoffe, ihr habt es bald hinter euch, und schicke ein paar gute, kräftige Gedanken auf den Weg.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert