HOME ON THE RAGE

„Road rage“ – dafür gibt es leider keinen adäquaten deutschen Ausdruck. Autobahnraserei vielleicht, wobei die Raserei keine Bezeichnung für Geschwindigkeit ist, sondern für einen Geisteszustand, bzw. einen geistlosen Zustand, in dem der Wahn im Menschen ausbricht, wenn er die Kontrolle über ein Fahrzeug hat, das sich im Fahrzeugverkehr einordnen muss. Nick Hornby kreierte schlau und treffend den Begriff music rage. Das ist, wenn jemand zu mir sagt „die neue CD von Kate Bush ist wirklich enttäuschend“ und ich ihn nicht nur aus meinem Adressbuch streiche, sondern ihn mit einem stumpfen Gegenstand schlage, bis er nie nie nie wieder so etwas Beleidigendes sagt. Ich persönlich litt an einem leichteren Fall von music rage, der fast geheilt wurde (dennoch bitte Vorsicht mit Negativäußerungen betreffs Kate Bush in meiner Gegenwart). Vielleicht, weil dann die movie rage ihren Platz einnahm.
„Wie kannst Du Dir so einen Scheiß anschauen. Das ist ja eklig. Das ganze Blut, die Gewalt.“ Mein damaliger Freund stand nicht so auf Gewalt in Filmen. Und das mir. Und seine Aussage betraf Coppolas Dracula. Damals hätte ich es schon wissen müssen, dass das keine Zukunft hat. Außerdem quatschte er in den ersten Minuten eines Films. Dabei weiß man doch, dass in den ersten 5 Minuten die komplette Geschichte etabliert wird.
„Das ist doch völlig unlogisch jetzt.“
„Nein, ist es nicht. Das ist nur, weil Du nicht aufgepasst hat. Ganz am Anfang sagt doch sie zu ihm-„… usw.
Ich rächte mich und drückte bei ihm ein bisschen aufs music-rage-Pedal – sein wunder Punkt: Nina Hagen. Das waren dann die Nächte, in denen er die Bettdecke ganz fest um sich wickelte und mich manchmal aus dem Bett trat, wenn er (angeblich?) schlief.
Schon in den ersten drei Monaten schafften wir es, einander per Knopfdruck auf Weißglut zu bringen. Einmal haben wir uns sogar ein bisschen geschlagen. Das wieder-Vertragen machte ja schließlich auch Spaß. Auf Dauer schaukelten wir uns in eine ungesunde Form von – Sie ahnen es: Love Rage. Love Rage zeichnet sich durch das sadistisch-narzißtische Auslösen von Erregungszuständen aus, die eigentlich nur die Formulierung der folgenden Aussage sind „Du bist nicht so wie ich Dich will“. Oder möglicherweise auch „Du bist nicht ich.“
Neun Monate dauerte der Liebeswahn. Bis wir einmal zwei Wochen lang isoliert das Schubsen überstrapazierten. Was mich davor bewahrte, mich in Liz Taylor in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ zu verwandeln. (2nd thought here: has it really??)
Auch er hat das alles recht unbeschadet überstanden. Seine Indianerhaare sind einer praktischen Kurzhaarfrisur gewichen. Er sieht immer noch fantastisch aus, Und er hat einen Partner gefunden, der vielleicht ein bisschen mehr ist wie er selbst.

10 Gedanken zu „HOME ON THE RAGE

  1. joppi

    Ach ja, der gute Nick und die geniale Verfilmung seines Buches. Dieser herrliche Gewaltexzess im Plattenladen…
    Wieder-Vertragen macht echt Spaß, da fliegen dann erst die Fetzen.. aber irgendwann nutzt sich das auch ab, wenn die Wunden zu tief sitzen.

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