AVANT CONCERT, DEUX GARCONS, VERY LUCKY, VERY GLAM

„Kuck mal da, der die CDs verkauft – das ist doch Vögelchen, der hat doch mit uns Theaterwissenschaften studiert.“
„Der ist aber ganz schön füllig geworden. Gar nicht mehr so ein Vögelchen.“
„Da winkt Dir jemand.“
Glam winkt dem sonnenbebrillten älteren Herrn mit der Fönfrisur zurück. „Über den kannst Du jetzt sagen, was Du willst, aber das ist eine ganz gute, liebe Seele. Das letzte Mal hab ich ihn getroffen, als ich mit der Pornoqueen beim MDR in irgendeiner blöden Vorabendshow war.“
„Bei der Pressekonferenz hat sie gesagt „Mein Gesicht ist von R.K.“
(Beide lachen.)
„Kuckma – das ist das erste Mal, dass ich jemanden aus der RWF-Clique bei Ingrid sehe. Die konnten sich doch nie ausstehen.“
„Na ja – ist ja dreißig Jahre her. Die Irm sieht besser aus als damals.“
„Aber der Harry ist alt geworden. Wenn ich daran denke, dass… argh. Möcht ich gar nicht dran denken.“
Eine kleine Dunkelhaarige, in den letzten 15 Jahren völlig ungealtert, drängelt sich an mir vorbei.
„Das war G. Die kennt mich auch nicht mehr.“ Wobei das „auch“ fehl am Platz ist, denn alles in allem kennen ich ca 10% des anwesenden Publikums. Davon wiederum die Hälfte persönlich. Aus der Vergangenheit. Dann kommt Salomé und ich freue mich sehr ihn zu sehen. Er schenkt mir eine CD. „Du kommst doch nachher noch ins Florian?“

Im Parkett, Königsplätze, 10. Reihe Mitte. Die Kleine G. eine Reihe vor uns neben der Filmproduzentin. Harry und Irm haben nur Seitenplätze bekommen – wahrscheinlich haben sie sich zu spät durchgerungen, teil zu haben. Die Ingrid war aber auch immer so eigen!
„Ach – ich hab Dich gar nicht erkannt. So blond.“
„Gut siehst Du aus, G.“ Und ich meine es ehrlich.
„Bei wem bist Du denn jetzt?“
Ich überlege kurz. „Bei mir.“ Was sich gar nicht schlecht anfühlt, so ganz raus eigentlich aus dieser Welt von Premieren und den Abstürzen danach. Große Egos in Planetenkollisionskurs, ich immer ein Mond, der um die Sonne kreist. Mit Mitte 20 nicht der schlechteste Job.
„Das könnte historisch werden, nachher im Florian, willst Du nicht doch?“
„Nee. Das wird nur unterschwellig. Alle werden nett zueinander sein, vor allem zu ihr, und keiner wird über das Konzert sprechen. Als Drehbuch wäre das spannend, aber in der Wirklichkeit…“ Außerdem gibt es keinen Glamourfaktor mehr zu toppen, wenn man in ähnlicher Personenkonstellation der Überreichung eines Ehrentitels der französischen Regierung in der Französischen Botschaft beizuwohnen geladen war. Da bin ich mit Cora gewesen und sie hatte danach einen wunderschönen Text über den Schokoladenorden und seine Trägerin verfasst.
Und nachdem sich das Publikum durch wiederholtes staunendes Umschauen ausreichend miteinander vertraut gemacht hat, geht endlich das Saallicht aus, der Staub auf den prächtigen wuchtigen Reliefs des BE darf sich wieder schlafen legen, ein Playback erklingt und auf hochhackigen Pumps stapst (ja, an dieser Stelle eine Wortschöpfung), stapst also das blonde Singwunder mit dem Ehrentitel in einem schwarzen frilligen, zuppeligen, glorios schlichtverwurschteltm Abendkleid auf die Bühne, man beneidet sich nicht um die Schräge des Bühnenbildes – gefährlich sieht das aus, so wie alles an ihrem Act mit Gefahr behaftet ist – bleibt an der Ecke stehen, lehnt sich lässig an und ergreift die Macht. Während im Foyer ein ektoplasmischer Rollstuhl steht, von niemandem beachtet, und sein Besitzer sich das Programm heute vom Rang aus anschaut.

5 Gedanken zu „AVANT CONCERT, DEUX GARCONS, VERY LUCKY, VERY GLAM

  1. spango

    Während im Foyer ein ektoplasmischer Rollstuhl steht, von niemandem beachtet, und sein Besitzer sich das Programm heute vom Rang aus anschaut.
    ….
    doch, du bist aufmerksam genug.

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  2. blogger.de:kittykoma

    schließe mich an.
    das wunderbare an solchen abenden, über die dann so wunderbare texte entstehen, ist die zeitreise. plötzlich liegt die eigene biografie wie auf einen zeitstahl geschrieben vor einem. sensibilisiert durch musik und atmosphäre kommt der augenblick der eigenen positionsbestimmung im kosmos des lebens. die alten kometen ziehen vorbei. gealtert und grau oder geheimnisvoll verjüngt. plötzlich bedeutungslos (herrgott, wie konnte ich nur!) oder in der gleichen temperatur des gefühls wie damals. hach, neid!

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