GLAM EMPFIEHLT NICHT

Normalerweise gehöre ich nicht zu den Leuten, die ein Buch zu Ende lesen, nur weil sie es schon 2/3 durch haben. In diesem Fall könnte ich eine Ausnahme machen. Die ersten 200 Seiten waren etwas zäh. Zwischendurch immer mal wieder ein hübsches Detail, eine ausgezeichnete Schilderung, ein überraschendes Geschehnis. Gerade genug Bröckchen, um nicht zu Dussmann zu fahren und neuen Lesestoff zu besorgen. Die Einführung der unsymapthischen Hauptfigur völlig überdimensioniert – man will von einer solchen Figur gar nicht so viel wissen. In dem Moment, wo die zweite Titelfigur ins Spiel kommt, ruckelt die Autorin den Karren aus dem Dreck. Aber „das beste Werk der magischen Literatur seit 70 Jahren“ (sinngemäß wiedergegeben) ist es, entgegen Neil Gaimans Meinung, weiß Gott nicht. Da sind nämlich er selbst, Angela Carter (note to self: unbedingt demnächst mal wieder „Nights at the Circus“ und „Wise Children“lesen) und die frühe Anne Rice (von „Interview with the Vampire“ bis „The Queen of the Damned“) viel näher dran.
Das Buch ist vielleicht wie eine Bühnenperformance in der alles ganz nett scheint, aber eine Ingredienz fehlt: tolle Stimme, groartige Komposition, kein Sex. Manchmal fehlt die Ehrlichkeit (häufig steht das im Zusammenhang mit dem sexuellen Selbstbild des Künstlers). Im Falle von „Jonathan Strange and Mr. Norrell“ täuscht die sehr gebildete Sprache darüber hinweg, dass wir keiner Handlung folgen, sondern einigen Lebenswegen. Zwischen den einzelnen Plotpoints ist viel Leerlauf, nicht ungeschickt gefüllt mit wirklich reizenden Skizzen in den Fußnoten. Aber ein populäres Meisterwerk braucht Flow. Sex. Und man muss sich vielleicht auch ein klitzekleines bisschen in die Hauptfiguren verlieben können, das macht es definitiv einfacher, am Ball zubleiben. (Über die Psyche einer Autorin, die ihre einzigen weiblichen Protagonisten früh sterben lässt oder in eine Nervenheilanstalt schickt, möchte ich lieber nicht spekulieren. Sie sollte sich mal mit Lars van Trier auf ein Bier treffen.)

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