GLAM HATTE ANGST

Es war kein Geheimnis und auch kein Geheimblog, aber ich fand es damals besser, das beschriebene Erlebte auf einem Extra-Blog und nicht hier zu veröffentlichen, nicht nur, weil es hier den Rahmen gesprengt hätte, sondern vielleicht auch, weil ich diesen Teil meiner Biografie etwas von mir abspalten und zur Seite stellen wollte. Die meisten Leser kennen aber mein Zweitblog BatesMotel und wissen, wer dahinter steckt: little glamorous me.

Es schien mir logisch, den Text komplett und isoliert ins Netz zu stellen. Als Zeitdokument für mich selbst, aber auchals Flaschenpost für diejenigen, die die Begriffe „Sozialphobie“ „Reha“ „psychosomatische Klinik“ googeln, auf der Suche nach einem Erlebnisbericht. 42 Tage in einer Reha-Klinik – was passiert da? Wenn ich den Text jetzt lese, finde ich es spannend, dass ich mich fast ausschließlich mit meiner Innenwelt geschäftigt und weniger den Klinikalltag beschrieben habe. Dazu habe ich noch meine damaligen „Stundenpläne“, auf denen neben „Training sozialer Kompetenz“ auch „Kanu fahren“ und „Vorlesung zu den Formen von Depression*“ standen. Als jemand, der seinen Drogenkonsum beim ersten Arzttermin zugab, wurde ich auf Alkoholverzicht gesetzt und kam nicht in Genuss der „Genussgruppe“ – dazu hätte ich magersüchtig sein müssen, aber dafür mangelt es mir ja bekanntlich an Diszipiln…

Tatsächlich wurde BatesMotel in diversen Sozialphobie-Foren besprochen, allerdings hauptsächlich, weil die Berichte meiner sexuellen Eskapaden (es waren, glaub ich, nur drei) den Ängstlichen zu freizügig waren. Sowas gehöre in so einen Bericht nicht rein. Well, folks – ist ja mein Bericht, und da kommt alles rein, von dem ich finde, dass es reingehört. Und wenn ein Mesch, der früher, wegen seiner Angst vor Menschen, nicht einmal eine Badeanstalt aufgesucht hätte, an einem Nacktstrand bei Tageslicht mit einem Fremden fickt, dann passt das da schon rein.

Als Don Dahlmann für die aktuelle Ausgabe von Mindestenshaltbar das Thema „Angst“ bekannt gab, dacht ich mir „da war doch was…“ und somit könnt Ihr, wenn ihr das nicht schon längst getan habt, etwas aus dem Tagebuch eines Angstpatienten lesen.

* Hier lernte ich, dass das Sisi-Syndrom von der WHO noch nicht als Krankheitsbild anerkannt wird, was mich natürlich auf die Palme pringen würde, wenn ich eine Prinzessin wäre, bin aber nicht. Drum sei´s drum. Die Vorlesung wurde von Dr. K. gehalten – einer wunderbaren Psychologin, die aussah wie Kate Bushs Mutter. Ihr verdanke ich auch die Telefonnummer meiner späteren Therapeutin. Allein für diese Telefonnummer waren 42 Tage Ausnahmezustand völlig in Ordnung.

13 Gedanken zu „GLAM HATTE ANGST

  1. rob-log

    Es passiert ja selten, dass ich nicht unmittelbar etwas zu sagen oder zu schreiben habe – da ich nun immer an Bates Motel vorbeigefahren bin (das aber nur aus reiner Unwissenheit), kann ich erst jetzt versuchen ein paar anständige Zeilen zu gebären…

    Sich seinen Ängsten und vor allem sich selbst zu stellen, ist für viele eine fast undurchdringbare Mauer – denn nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, sind wir die ersten, die uns belügen. Dabei meinen wir es gut mit uns. Wir wissen auch, dass wir ein wenig schwindeln…

    Diese Mauer niederzureißen verbraucht Kraft, die allzu viele nicht haben: Deinem Mut und Deiner Kraft meinen ehrlichen Respekt…

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  2. brittbee

    wie sehr ich dein bates blog schätze weißte ja. hab das immer gern gelesen und war ja auch recht zweitnah dabei. und ich muss sagen: riesenschritte hast du getan, seitdem. un-fass-bar. auch da sind blogs wieder schön: alles genau dokumentiert.

    aber das schönste an diesem heutigen beitrag ist die überschrift. vergangenheit.

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  3. kittykoma

    bates motel habe ich parallel zur glämmer-welt entdeckt. ist ja nun auch schon ewigkeiten her. und dann hab ichs in alle richtungen weiterempfohlen. nicht, weil mich der medizinische aspekt interessierte, sondern weil es offen, authentisch und auf dem boden war. (was schon heißt ziemlich unten, aber auch näher an den wurzeln).

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  4. la-mamma

    deines extra-blogs von hinten nach vorne gelesen, obwohl ich sonst nicht so unsystematisch bin. und ich mag jetzt auch gar nichts anderes mehr lesen, es wirkt ganz schön nach.

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  5. stoeps

    Glam! Ich ziehe den Hut in aller Ehrfurcht vor Dir, Deiner Ehrlichkeit und Deiner Offenheit!

    Mehr als einmal liefen mir kalte Schauer über den Rücken und einiges kam auch mir sehr vertraut und bekannt vor in Bates Motel

    Zum Glück hat sich heute einiges geändert und ich konnte rechte Fortschritte machen. Trotzdem bin ich weiterhin mit dem Thema heftig konfrontiert, da mein Partner ebenfalls eine ausgewachsene Sozialphopie mit sich herumträgt.

    Aber wer unter uns ist schon so ganz einfach „normal“ oder „gesund“? Fehlt nicht jedem von uns irgendwo im Mechanismus ein Zahnrädchen oder zwei?

    Dafür muss man sich nicht schämen!

    Schön, dass es Menschen gibt, die so offen über solche persönlichen Empfindungen und Erfahrungen berichten! Schön, berührend und aufwühlend.

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  6. glamourdick

    REPLY:
    einer der wichtigsten dialoge in der klinik war der mit dem chefarzt.
    „herr dick, sie sind dumm.“
    „äääääh….??“
    „weil sie erst jetzt kommen.“

    in der verhaltenstherapie habe ich gelernt, mich einigen dämonen zu stellen. das ist aber eine tägliche aufgabe, die vielleicht nie aufhört.

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  7. stoeps

    REPLY:
    Naja, dumm bist Du ja nun wirklich absolut nicht! Aber Angst ist eben eine extreme Macht die den eigenen Willen einfach lahmlegen kann und aus Macht Ohnmacht macht (wasn Satz…)

    Es bleibt eine tägliche Aufgabe, sich darum zu kümmern. Ja genau. So kommt es mir auch vor! Allerdings nimmt der Anteil der „Gelassenheitstage“ in dem Masse zu, in dem ehemalige Dämonen zu Freunden werden.

    Oft ist es ja so, dass Ängste die einem total blockieren, in kleinerer Dosis auch durchaus ihren Sinn haben. Ich fühlte mich oft wie im Cartoon, mit Teufelchen auf der einen Schulter und Engelchen auf der anderen. Anstelle von selbstbestimmter Entscheidungen tat ich das, was mir am lautesten und heftigsten von der einen oder anderen Schulter ins Ohr geschrien wurde. Kannst Dir vorstellen das Engelchen nicht sehr grosse Chancen hatte in diesem Spiel.

    Aber heute entscheide ICH und folge nicht einfach dem lautesten Schreier im Kopf. Engelchen und Teufelchen sind bestenfalls zu Beratern geworden, die ich ab und zu kontaktiere und deren Einwände ich sorgsam prüfe. Aber die Entscheidungen fälle ich heute mit Verstand, Herz und Bauch. Diese Phalanx hat langsam das Hin- und Hergerissensein ersetzt.

    Und das tut gut! Aber da sind noch soviele andere Dämonen…langweilig wird uns also nicht werden…

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  8. BelleNoir

    Weil als jemand der es auch auf ca. 45 Tage Klinikaufenthalt bringt und es nicht schafft das ganze mal ordentlich aufzuschreiben bin ich außerdem noch schwer beeindruckt.

    Aber beeindruckt bin ich hier ja ständig, weil sie, werter Glam so fürchterlich ehrlich und dabei aber immer sensibel sind. Die ganz normalen kleinen Begegnungen schildern bei denen die alten Muster wieder böse zuschlagen können. Nur zu lesen, dass man nicht allein ist mit diesem Wahnsinn macht mich sehr, sehr froh.

    Wir brauchen T-Shirts. WWGD? What would Glam do?

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