20 oder BERLIN 88

Klammheimlich hat sich der Tag im Monat versteckt. Es war der 17. oder der 19. Vielleicht auch der 23. Ich weiß es nicht mehr genau und er hat sich auch nicht zu Wort gemeldet. Der Personalausweis mit dem korrekten Datum ist lange verschwunden. Aber es sind jetzt 20 Jahre in dieser Stadt. August 1988. Als ich hier ankam wog ich 58 Kilo und hatte strubbelige kurze schwarze Haare. War blass und mager und hungrig auf´s Leben. Meine erste Wohnung war in Neukoelln und befand sich in der Einflugschneise des Flughafen Tempelhof. Während ich meine Küche apricotfarben strich setzte ein Flugzeug zum Landen an und ich fiel fast von der Leiter, weil ich dachte, es stürze gerade aufs Haus. Mein Schlaf/Arbeits/Wohnzimmer zierte ein Bodenbelag aus grauen Filzfliesen. Bei Langeweile konnte man prima Filzbüschel ernten und eine kleine Makramee-Arbeit daraus fertigen. Es gab einen kleinen Balkon, den ich nicht bepflanzte, ich war schließlich Student.
Neben mir wohnte ein unsichtbarer Mann, er war nie da, oder doch. Und auf der anderen Seite eine prächtige Aso-Familie, die später in einen Wohnwagen zog. Sie rauchten, während sie den Kindern die Winden wechselten. Unter mir wohnte eine Zeit lang ein bildschöner Brasilianer mit seiner Freundin. Eines Tages klopfte er bei mir und bat, meine Dusche benutzen zu dürfen, sein Durchlauferhitzer sei kaputt. Ich ließ ihn. Als er nach einer Stunde immer noch nicht aus derm Bad raus war wunderte ich mich ein wenig, aber ich lebte so unsexuell, dass ich nicht darauf kommen konnte, dass er möglicherweise auf mich wartete. Gegenüber wechselten die Mieter häufig. Außer diesem einem blonden Studenten, dem ich manchmal bein Mädchenficken zuschauen konnte.
Die Bäckersfrau ließ sich durch lange Schlangen nicht davon abhalten, einen ausgiebigen Plausch mit mir zu halten. Das Ehepaar vom Kiosk nahm mir manchmal Madonna-Sachen auf, die bei Premiere liefen. Die Ecke von Neukoelln, in der ich wohnte, fand ich damals wie heute optisch schrecklich. Bloß weg da. Ubahnfahren. 4 Stationen bis zum Kotti, wo der Irre im rock mir dann und wann eine runterhaute, wenn er mir auf der Rolltreppe entgegen kam. (Von wegen „der ist harmlos“. Ich hoff ne Ubahn hat ihn erwischt.) Die O-Bar (Vorgänger des Roses). Im Sommer draußen auf dem Müllcontainer mit einem Glas Southern Comfort in der Hand. Sabine W. an meiner Seite. Uli. Und sehr bald das Skailight. Ein Jahr später Herr Strike. Wenn ich Sonntagmorgens aus dem Schwuz in der Hasenheide fiel, dann trampte ich meist nach Hause. Schwuz am Samstag war Routine. Das Berlin von 1988 war noch das Bowie-Berlin. Mit Mauer. Mit Piefigkeit. Ich habe es geliebt. Es war meine Insel. Ich habe mich oft schlecht gefühlt, aber dann kam oft der Gedanke „Immerhin geht´s mir schlecht in Berlin“. Als die Mauer fiel, da war ich hier schon verwurzelt.

Noch heute. Ich lebe jetzt genau so lange hier, wie ich anderswo gelebt habe. 20 Jahre. Und was aus Berlin geworden ist, in den letzten 20 Jahren, das gefällt mir. Sie hat sich uffjehübscht, sie hat die Türen uffjemacht. Teuer isse jeworden aber immer noch n billiget Luder. Und n bisschen drüber. Breit. Kannste schminken und machen wie de willst. Bissken tüddel di di. Nich janz Kentucky.

Mein Kiez ist jetzt nicht mehr in Neukoelln sondern ein bisschen hochgewandert. 36. Hier kennt der Zigarettenverkäufer meine Marke. Wenn ich zu Fuß einkaufen gehe treffe ich alle paar Meter auf Bekannte und Freunde. Es ist ein anderes Berlin, es ist dasselbe. Und ich will hier lange noch nich weg. (Außer im Januar, regelmäßig wenn die Winterdepression kommt. Da geht man am Besten homeopathisch vor und hört Bowie. „Neukölln“.)

Sunshine summed it up best:
„Weisssssde was det Problem is? Det Problem is – für DIE is die Welt n Bongbong. Für MICH is die Welt n Lickör.“

Berlin, Berlin.

9 Gedanken zu „20 oder BERLIN 88

  1. timanfaya

    schön geschrieben. ich lebe ja rein von der struktur her im bodenständigeren* mega-berlin. ich glaube, solche großstrukturen schaffen etwas, was man entweder liebt oder haßt. ich habe im 30 minuten umkreis von meiner haustüre zugriff auf den bereich von ca. 2 millionen einwohnern, bei 50 minuten fahrt sind es 7. und ich liebe es.

    * umwelt-diskussion im ruhrgebiet mit einem kollegen: feiiinstaub? diehammsedochnichmerhalle. den haben wir als kind mitte schüppe vonne straße geholt ….

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