ICH WILL ALLES

Eine Sache, von jemandem zu wissen, dass er vor ein paar Jahren sein 50. Bühnenjubiläum begangen hat. Eine andere, die Karriere dann bewegt und bebildert zu sehen. Die G. mit 10 im Duett mit ihrem Vater, die G. mit 20. Mit 30, 40, 50 und auch mit 60 noch im Geschäft. Ein Leben, das sich in Interviews entblättert, in Film- und Fernsehausschnitten. Diese steifen schwarzweiß-Shows der 60er, wo graue Männer rauchen und schwarz auftoupierte Damen den Blick verschämt nach unten senken und an ihrer Perlenkette nesteln. Da wirbelt dann auf einmal eine Blondine rein und scheucht die Kollegen auf. Wenige Jahre später wird sie dann zum Spießeridol zementiert, man sieht es schon an den Haaren – nicht mehr wild und im freien Fall, sondern ein Doris-Day-Häubchen. Nach einer ungewollten beruflichen Verpartnerung strampelt sie sich frei und singt das was sie am meisten liebt – Jazz. Und sie ist gut, aber das will die Masse nicht hören. Die wollen das freche Mädchen. Und dann erfindet sie sich ein weiteres Mal neu und landet in den Charts. Als erwachsene Frau, die vor allem durch ihre Stärke auf sich aufmerksam macht. Dass sie sich nie sonderlich stark gefühlt hat sondern lediglich Projektionsfläche für einen Schlagertexter war, sei´s drum. Ihre Karriere ist erneut beflügelt für ein paar Jahre. Wenn nix mehr geht – geht Jazz. Mit 50 muss man nicht mehr in die Charts – lern dazu, Madonna!

Ihre Unsicherheit stammt vermutlich aus der Kinderzeit, in der sie wochenlang auf Tournee war, keine vernünftige Bildung erfahren hat, sondern nach einem Singwochenende mit Nachhilfelehrern vor den Büchern saß, verzweifelt:
„Hast Du´s denn jetzt begriffen?“
„Nein.“

Das wusste man nicht von der G. (dass sie in einer skandinavischen Filmproduktion eine Nacktrolle hatte, in aller entzückenden Natürlichkeit; dass sie schon als junges Mädchen auch in dramatischen Rollen Erfolg feierte, nicht nur als Hupfdohle.) Das war in einer fernen Generation. Und doch ist sie jetzt hier und eine Zeitgenossin. In ihrem Geburtsland Dänemark zählt sie noch immer zu den bewundertsten Sängerinnen – vermutlich auch, weil man sie hier eher mit Jazz in Verbindung bringt, als mit Schlager. Und nächste Woche reist sie nach Kopenhagen um die 17jährigen Louise Espersen dabei zu unterstützen, ihr Gitte-Hommagen-Album zu promoten. Da steht sie dann neben dem jungen Mädchen, das ihre Songs aus den 60ern mit unglaublichem Charme und voller Aufrichtigkeit über die Bühne schmettert. Und ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, wenn man den Luxus einer solchen Zeitreise in Anspruch niehmen kann.

Wenn Sie Gelegenheit haben, schauen Sie sich die Doku „Ich will alles: Die Gitte Haenning Story“ von Marc Boettcher an. Das außergewöhnliche Dokument einer Ausnahme-Karriere.

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