HEROES

Wie mit einem breiten kühnen Pinselstrich hat man D. die Augenbrauen ins Gesicht gesetzt. Pechschwarze dichte Brauen, die seine weißen Zähne erst so richtig strahlen lassen. Der Klang seiner Stimme identifiziert ihn als die schicke amerikanische Jungschwuchtel, die er ist.
Das könnt clashen, denke ich, während er mir von seinem Euro-Trip berichtet (6 Wochen, 12 Ortswechsel), denn er entspricht schon sehr dem Klischee des Kindes aus gutem Haus, dem nach Uniabschluss mal so richtig Honig in den Arsch geblasen wird und die Platin-Visa in die Hand gedrückt.

Clashen – denn ein Visa-Problem der ganz anderen Art hat P. aus Kaliningrad, mit dem wir uns gleich treffen. Seines erlaubte ihm noch 5 Tage Reisen. Eigentlich wollte er seine erste Reise in den Westen nach Paris machen, aber dann fiel die Wahl doch auf Berlin. Als ich ihn an seinem ersten Abend in die schwule Szene schicken will, winkt er ab.
„Why should I go there when I have to leave again so soon?“
„To get an idea what it´s like. How the guys behave here. To see what´s possible.“
Denn, so weiß ich von ihm, in Kaliningrad sind ihm die Szenekerle ein Graus, weil zu schwuchtelig. Und außerhalb der Szene zu suchen ist bei der politischen Lage in Russland ein wenig riskant. Die stärker werdende Kirche bedrängt den Staat, Homsexualität zu verbieten.

Immer an der überirdischen Ubahnstrecke entlang erzäht mir D. nun von seinen Jobs, seiner Arbeit an einem Dokumentarfilm über obdachlose Schwule und schafft es, sein optisches Partygänger-Image Lügen zu strafen. Na, sagen wir Halbwahrheiten. Sitzt da, in Zigarettenhose, eng anliegendem Partyshirt, Glitzerturnschuhen. Proud to be gay. Und politisch aware, alert. Interessiert an Geschichte, Wirtschaft und den Zusammenhängen.

P. kommt morgens um 8.00 zurück von seinem Ausflug in die Szene.
„How did you like it?“
„Bad“ lächelt er.
„Why?“
„Do you want the story long or short?“
Ich entscheide mich für die ausführliche Variante. Und komme vor Lachen manchmal nicht mehr zum Luftholen. Das Möbel Olfe fand er Scheiße, aber im XY* gab es auf das Stichwort „Glamourdick schickt mich“ Freigetränke. Nach einer Stunde kennt er den ganzen Laden, knutscht mit einem Typen und geht mit ihm ein paar Stunden später nach Hause. Die beiden haben Sex.
„We was so good, so attentive.“
„I still can´t understand why the evening was bad – everything sounds fun!“
„Yes. But we didnt´end it.“
„You mean you didn´t come?“
„Yes, and my dick hurt so much later, I had to put ice on it.“

Ich erzähle D. von P.s Lebenssituation. Sein Hauptaugenmerk liegt darauf Kaliningrad hinter sich zu lassen. Seine Eltern wissen nichts von seiner Homosexualität, seine ältere Schwester schon, aber sie kann es nicht verstehen. Die Konzentration darauf, all dem den Rücken zu kehren lässt andere Wünsche in den Hintergrund treten. Er weiß nicht wirklich, was er einmal machen will, Hauptsache weg. Und dann vielleicht Kunst, oder Musik. Film. Aber er hat ein Studium abgeschlossen und wird ein zweites nicht finanziert bekommen. D. at ebenfalls ein Studium hinter sich, in diversen Jobs gearbeitet, einen Dayjob, der die Miete zahlt und das Doku-Projekt aus eigener Kraft auf die Beine gestellt.

Dann sind wir im Minki angekommen, setzen uns unter einen Baum, Herr Strike trifft ebenfalls ein und ich frage mich, ob dessen Blick an der Fassade hängenbleiben wird (dann würde D. ruckzuck durchfallen), oder ob er sich vom Wesen des Menschen um den Finger wickeln lassen wird wie ich. Aber der Strike ist ein Menschenkenner, wenn auch mit einem anderen Menschengschmack, und die Unterhaltung bleibt spannend. Per SMS benachrichtige ich P. wo er uns findet und frage mich wieder, ob das vielleicht eine ganz ganz blöde Idee war, Kaliningrad und New York zusammen zu führen, im Garten eines Hauses unmittelbar an der ehemaligen Grenze zwischen den beiden Berlins.

To be continued.

*Name geändert, damit Sie das jetzt nicht alle probieren. Funktioniert auch nur mit meinem bürgerlichen Namen.

2 Gedanken zu „HEROES

  1. frankburkhard

    war der Sex doll und sensationell anzusehen, dafür mußte ich mir aber vorher auch eine stunde die übliche dysmorphe körperneurose anhören, freundlich und aufmunternd, mit ungläubigen augenbrauen abwinkend.

    das war kein zu hoher preis, immerhin tut mir jetzt noch alles weh, aber ich denke trotzdem, dein wochenende ist jetzt schon viieeeeeel schicker als meins.

    dein menschenmagnetismus ist einfach un.schlagbar.

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