STROBO VERITÉ oder WIR KINDER VOM BERGHAIN

Schon etwas weird, am Strand zu liegen, das einzige Geräusch Wellenrauschen und Möwengeschrei, und dazu Airens Strobo zu lesen. So ab Mitte des Buches kannte ich die Texte bereits aus seinem Blog, aber die erste Hälfte war mir neu. So, wie es aufgebaut ist, beschreibt das Buch eine Drogenkarriere, aber mehr und nicht weniger. Es beginnt mit Bongrauchen, dann kommt die Partysucht, zu der zwangsläufig, so liest es sich, der Partydrogengebrauch hinzukommt. Das Partyleben und der damit in Verbindung stehende Konsum, beginnen das Arbeitsleben zu beeinflussen und hier wird der Absturz zum scheinbar freien Fall. Aber der wird immer wieder gebremst, irgendwie geht es immer weiter.

Was Airen beschreibt, ist mir, von der Partysucht mal abgesehen, nicht unbekannt. Bei Airen ist nur alles etwas krasser. Selbst ohne ihn persönlich zu kennen, dürfte klar werden, dass es sich hier nicht um einen Roman handelt – hier ist nichts erfunden – sondern um einen Bericht. Airen hat in seinem Schreiben die Gabe der Beobachtung und die Distanz zur Scham – die ist ihm nicht fremd, aber er wagt, sie zu thematisieren. Seine Sprache ist packend. Schonungslos. Noir.

Für manche mag das Leseerlebnis ein Aufgeilen am fremden Erlebten sein und die Sehnsucht kitzeln, etwas zu tun oder geschehen zu lassen, was einen von der Masse abhebt. Sich dem Rausch hinzugeben. Christiane F. hat sicherlich auch einiges für die Popularität von Heroin-Gebrauch getan. „Strobo“ ist ganz sicher ein gefährliches Buch. Gefährlich, ehrlich und sehr sehr gut.

Frau Koma kommentierte während der Lektüre: „Wenn ich so ein Kind hätte – ich würde durchdrehen“. Was mir zu denken gab. Airen hat in mir eher einen Impuls ausgelöst, ihn vor seinen Eltern beschützen zu wollen. Er hat jetzt selbst eine Familie, die Abstürze sind weniger geworden, und dennoch ist sein Weg durch die Welt von einer Intensität, die Angst machen, aber auch inspirieren kann. Er ist ein extremer Mensch, daran wird sich nichts ändern, und ich hoffe sehr, dass er weiter schreiben wird, denn was nach der Lektüre des Buches für mich klar wird, ist, dass es nicht so sehr die Geschehnisse in „Strobo“ sind, die Eindruck hinterlassen, sondern die nüchterne Fähigkeit, den Rausch in klare Worte zu fassen, mit der er auch ganz andere Erlebnisse oder Geschichten in Worte kleiden könnte.

Wie die G. mir kürzlich in ganz anderem Zusammenhang veranschaulichte, sind geschriebene Worte ja von größerem Gewicht, als gesprochene. Ähnlich verhält es sich mit gebloggten und gedruckten. Ein Buch kannst Du in der Hand halten. Ein Blog kannst Du offline stellen. Was als Aufschreiben von Erlebnissen und der Veröffentlichung in der Flaschenpost Internet begann, hat nun seinen Weg in die (vermeintlich) echte Literatur gefunden. Insofern ist Airens Buch auch richtungsweisend für Verlage. Gebloggtes Wort ist nicht minderwertig, nur weil das Medium den Buchdruckern merkwürdig vorkommt. Airens Literatur hat es jetzt zwischen Buchdeckel geschafft. Ich hoffe, dass das der Beginn einer langen Karriere für ihn als Autor und ein Startschuss für andere bloggende Literaten ist.

2 Gedanken zu „STROBO VERITÉ oder WIR KINDER VOM BERGHAIN

  1. kaput

    Ein sehr guter Kommentar. Ich habe das Buch auch am Stück gelesen.
    Er ist sicherlich ein extremer und widersprüchlicher Mensch. Das Packende an seinen Texten sind weniger die Erlebnisse sondern vielmehr die Ehrlichkeit und Ausdrucksweise.

    Bestimmte Verhaltensweisen kommen mir auch bekannt vor. Nächte durchfeiern, die Begeisterung für den Sound. Mein Glück ist, dass ich mein verfügbares Geld lieber für die Musik denn für Drogen ausgebe und Psychose-Erlebnisse in der Familie mir davor auch den nötigen Respekt eingeflößt haben.

    Schade fand ich, dass gefühlt einige Texte fehlten, vielleicht irre ich mich auch.
    Für mich ist es auch ein Porträt der jetzigen Generation, nein, vielmehr eines Teils davon und das letzte Buch, was mich in dieser Richtung einfach umgehauen hat, war „Als wir träumten“.

    Jedenfalls – ein wichtiges Buch!

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