GLOOM

Aufgewacht und festgestellt, rien ne va plus. Am Besten einfach liegenbleiben. Liegenbleibend so umgeschaut. Die Stapel mit Büchern. Die Stapel mit DVDs, die Stapel mit Zeitschriften. Dann mal so ein Blick an die Decke. Weiß kann man dazu auch nicht unbedingt mehr sagen. Gerade noch unzufrieden, ist man ruckzuck am Boden zerstört, und das als Luftzeichen, und noch nicht einen Fuß vors Bett gesetzt. Den Rest erledigt eine halbe Stunde später der Blick in den Spiegel. Es ist ja leider so, dass man nicht ungestraft weinen kann, sonst täte man das noch viel häufiger. Wenn man es aber dann auch noch einfordert, indem man sich mit einer Heulvorlage 8 Stunden einsperrt – selbst Schuld. Dann siehste halt aus wie zwei aufgeplatzte Kissen, verloren auf einer zu hohen Stirn. Und wenn Du keine emotionale Musik verkraften kannst, dann schau halt nicht „Glee“.

Und dann rufst Du im Büro an und faselst was von einsetzender Grippe, die Du endlich mal gründlich auskurieren müsstest, schämst Dich, dass jetzt ein Kollege für zwei arbeiten muss, legst auf, schaust ins Weiß und fragst Dich, was das jetzt für eine Erholung werden soll, in diesen Grauen Gärten auf denen Dein Name steht, und stellst die Uhr – wann fängt der Körper wieder an zu sprechen, wann setzen die Stress-Symptome ein?

Am Schlimmsten ist es im Arbeitszimmer. Da fällt es Dir am Wenigsten auf, weil der Blick meist auf die Egowand gerichtet ist, auf die Mac-Screen, manchmal in den Hinterhof schweifend. Aber da hinten links vorm Regal, vom Regal ganz zu schwegen, da pferchst Du nur immer Bücher in dritter Reihe ein, von den wenigen, denen Du diese Lagerhaltung nicht zumuten willst abgesehen, die liegen auf dem Nachttisch, auf dem Boden vor der Balkontür, damit Du ihre Cover sehen kannst, vor dem Regal also liegen Stapel von Zeitschriften, Briefen sowohhl geöffnet als auch nicht, was man so als Unterlagen versteht und was wohl noch alles? Drei Müllsäcke später weißt Du es. Die Vanity Fair Jahrgänge 2004 und 2005. Jetzt hats Du auch eine zeitliche Orientierung, wann in dieser Gegend zuletzt ein Staubsauger aktiv war, toll, bezeichnend, ist das doch irgendwie das Gehirn Deiner Wohnung, und die Regale – greif mal rein, ach schau, stimmt, ich hatte mal nen schwarzen Joop-Rucksack, und vorm Wegwerfen ziehst Du noch ein paar alte Quittungen raus und zwei Euro. In den alten Gucci-Schuhkarton sortierst Du die paar Dokumente, die aus Sentimentalität augehoben gehören. Postkarten von Cora. Fotos, die man Dir geschickt hat, die Du längst vergessen hast. Auf denen Du nicht verzehrt und verloren aussiehst sondern asketisch und dramatisch. Briefe, die Du gerade nicht die Kraft hast zu lesen. Bilder verloren gegangener Lieben. Irgendwo in der Welt ist es 18 Uhr und Du machst eine Flasche Wein auf. Vielleicht doch vorher frühstücken? Ach was, ist ja eh schon fast dunkel draußen.

Auf dem Fußboden sitzt Du zwischen Töpchen und Kröpfchen und überlegst, wie es wäre, wenn Du jetzt arbeiten gegangen wärst, anstelle hier in Grey Gardens die Erde umzugraben. Gelächelt hättest Du, gescherzt. Nicht so schlimm, hättest Du geantwortet, wenn man Dich auf Deine verheulten Augen angesprochen hätte. So wie Du auch freundlich und optimistisch Emails beantwortest, in denen Dir Absagen erteilt werden.

Willst Du es dann noch ein bisschen schlimmer machen, Du hast ja noch fünf Folgen „Glee“. Junge Menschen an den Crossroads ihres Lebens. Es ist nicht einmal die Musik, die Dich so emotionalisiert, bei „One Tree Hill“ musstest du auch ständig weinen. Es ist die Feststellung, damals so viel so falsch gemacht zu haben, mangels Vision, mangels Ideen, getrieben nur von dem Gefühl, die Kindheit hinter Dir zu lassen. Unwiderruflich. Und jetzt bist Du alt. Du schaust Dir Deine Handschrift von vor zwanzig Jahren an und schmeißt sie in die dritte Mülltüte.

Wenigstens ist das Arbeitszimmer aufgeräumt.

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