KINDERSPIELE, revisited, oder WHEN I WAS A YOUNG BOY, I HAD A LOT OF YOUNG BOYS. WE TAUGHT EACH OTHER DEARLY HOW TO LOVE…*

„So, wenn man als Junge unter Jungs miteinander rumgemacht hat, Doktorspiele – das hatte schon was sehr Aufregendes.“
„Es hatte was, aber rückblickend gab´s da auch ne ziemlich finstere Seite.“
„?“ Bambiblick unter braunem Pony.
„Na, der Typ, mit dem ich immer rumgemacht habe, der hat mich quasi eingewiesen und als ich ihn fragte, wo er das alles gelernt hat, da sagte er, von dem Lehrling, der im Betrieb seines Vaters gearbeitet hat.“
„Wie alt war er damals?“
„So sechs, schätze ich. Damals habe ich das gar nicht gewertet, das fiel mir erst später wieder ein.“ (Ich überlege, die Geschichte vom Missbrauch durch meine schizophrene Großtante zu erzählen, lasse es dann aber, there are secrets too dark to let out, to let go out, wenn man einem bildschönen Mittzwanziger gegenübersitzt, der sparklet und shinet.)

„Der Thrill war für mich in dem, was wir gemacht haben, nicht in der Tatsache, dass wir etwas taten, was tabu war.“
„Das hatte doch auch nen gewissen Thrill, immer damit zu rechnen, erwischt zu werden.“
„Dann bist Du ganz sicher nie dabei erwischt worden.“
„Du?“
Ich nicke.
„War´s schlimm?“
„Es hat mich bis zu meinem 30. Lebensjahr traumatisiert. Ich bin schwer drüber weggekommen. Sex als was Schönes zu empfinden ging nicht – es war halt mit Schuld und Scham verbunden, was ganz ganz Schmutziges. Und wenn man mit so nem Selbstbild durch die Welt geht, dann zieht man nicht gerade die Stecher an. Von 20 bis 30 hatte ich minderwertigen Sex, es gab sogar Zeiten von mehr als einem Jahr, in denen gar nichts lief, heute für mich unvorstellbar. Die potenteste Zeit meines Lebens habe ich ungefickt verstreichen lassen. Big regret. HUGE. Und dann war ich auch so unglücklich in und über meinem Körper – heute find ich Typen geil, die so aussehen wie ich damals.“

Ich schau mir die dünnen, ganz zart beflaumten Oberarme meines Gegenübers an, die schwarzen Haare, die aus seinem T-Shirtkragen lugen und zwinge mich, nicht zu seufzen. Einmal mehr bedauere ich, nicht zehn Jahre später geboren worden zu sein, fuck you God, man hätte mich zu den Klängen von „Wuthering Heights“ aus dem Mutterleib ziehen müssen. Ach was – ziehen – ich wäre herausgefuckingvoguet.

„So, how did you get over it?“
„Ich glaube, die Masse hat´s am Ende gemacht. Als es mit dem Internet für mich einfacher war, Sexpartner zu finden. In nem Gayromeoprofil kannst Du keine Angstpheromone riechen. Und mit 30 setzt ja dann auch die Torschlusspanik ein, da musste ich jede Gelegenheit nutzen. Na ja, fast. And then I got the hang of it. Und mit —– Mitte 30 tickt die Uhr ja noch viel schneller. Wie war´s übrigens gestern in der Sauna?“
Er strahlt.
„Am Anfang waren nur so unattraktive Typen da, aber dann kam dieser geile Türke, und legte sich auf die Bank. Der Typ, mit dem ich da war blies ihm einen and I made out with him and he jacked me off.“

Wieder verkneife ich mir einen Seufzer. Wieder frage ich mich, warum ich immer wieder in die Falle laufe, mir ausgerechnet die Fremden zu ent-fremden, die mir ein Spiegel dessen sind, was hätte sein können. Neulich, als er bei Romeo online war und wir quatschten, erklang die „Sie haben eine Nachricht“-Harfe mehrmals pro Minute.

Aber es ist vielleicht gar keine Falle. Ich hole soziales Leben nach, das ich während der lange währenden Soziophobie verpasst habe. Und, wie beim Sex, tendiere ich dazu, überzukompensieren.

Es hat dann auch etwas sehr Beruhigendes, diese kindness of strangers, dieses Vertrauen empfinden zu können. Mit jemandem, den man vor einer Woche noch nicht kannte, auf Themen einzusteigen, von denen man gar nicht wusste, dass sie noch im Gepäck sind. No fear, no shame.

Ich will nichts mehr verpassen. Ich will dem Leben wirklich jeden precious moment, jede bedeutsame Begegnung abringen. I want to touch the future.

* Devendra Banhart

Ein Gedanke zu „KINDERSPIELE, revisited, oder WHEN I WAS A YOUNG BOY, I HAD A LOT OF YOUNG BOYS. WE TAUGHT EACH OTHER DEARLY HOW TO LOVE…*

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