VOM HORRIBLEN, TERRIBLEN UND SCHAUDERHAFTEN

Wenn ich mich mit jemandem über Horrorliteratur oder Filme unterhalte, höre ich häufig den Satz „Lese ich nicht. Schau ich mir nicht an. Ist mir zu brutal.“ Dann frag ich mich immer, wie es kommt, dass Stephen King Bestsellerautor ist, und ob ich vielleicht zu einer ganz besonders verrohten Spezies gehöre. Zu meinen prägendsten Kindheitseinflüssen zählte die Mumien Monstren Mutationen-TV-Reihe im Dritten, da sah ich alles, von Dracula über Frankenstein, den seltsam schrumpfenden Mann, die Augen ohne Gesicht. Die ARD hatte eine Reihe, die sich auf Horror-Science Fiction spezialisierte. Den Mann mit den Röntgenaugen, die seltsame Ameisen-übernehmen-die-Welt-Geschichte, Soylent Green usw.
Meine ersten Horror-Romane waren „Carrie“ und „Salem´s Lot“ von Stephen King und ich habe in den letzten Jahrzehnten fast alles von ihm gelesen. Gerade jetzt lese ich einen, den ich zum Erscheinungszeitpunkt verpasst habe – „Insomnia“, in dem sich, wie so häufig bei King, in iner kleinen Stadt in Maine seltsame Dinge zutragen.

Bei „Insomnia“ fiel mir auf, dass eigentlich jeder Horrorroman auf einer Prämissse basiert und einen Hebel betätigt, der bei jedem Leser funktionieren dürfte. Er appeliert an die Angst, die wir vor der Gesellschaft haben. Diese beruht in der Regel auf Erfahrung. Das sagt jemand, der sich manchmal davor fürchtet, die Wohnung zu verlassen. In unserer Welt geschehen schreckliche Dinge, und auch, wenn wir in unseren kleinere familiären Einheiten bemüht sind, Harmonie zu schaffen, brauchen wir uns nichts vormachen: Die Welt Ist Schlecht. (Deshalb ist es ja auch unsere moralische Pflicht, Spaß zu haben, bevor alles vorbei ist.) Das merkt ein Kind zum ersten Mal, wenn es bestraft wird oder sich die Eltern vor ihm streiten. Horror spiegelt diese Schlechtheit der Welt und treibt sie ins grotesk Verspielte. Das gefällt mir, das ist unterhaltsamer als der wahre Horror: Babies in Tiefkühltruhen, Amokläufer, Krankheit, Selbstmordattentäter oder auch der Splatter eines Autounfalls, von Steuer, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit ganz zu schweigen.

Eine Unterform von Horror, wie sie beispielsweise in „While she was out“ und „Eden Lake“ gezeigt wird, gefällt mir perverserweise besonders gut, weil sie den Horror dahin zurückbringt, wo seine Basis ist: in einer Gesellschaft, die die Protagonisten plötzlich angreift. Keine fantastischen Elemente mehr, lediglich ein Kampf zwischen Individuum und Gruppe. Das Individuum wird ausgesucht und die Jagd eröffnet. Vielleicht mag ich dieses Terror-Genre deshalb so gern, weil das Szenario mir so vertraut ist und ich mit den Protagonisten fiebere, dass es ihnen gelingen möge, die Angreifer abzuwehren (und möglichts brutal nieder zu metzeln.) Die beiden genannten Filme sind repräsentativ für das Terror-Genre, schaffen es aber, noch etwas drauf zu setzen, was sie vom klassischen Genre-Kino unterscheidet und ihnen eine enorme Wirkmacht verleiht, die nachhallt, lange, wenn der Film vorbei ist. Ich würde ihnhaltlich zu viel verraten und Ihnen das perverse Vergnügen nehmen, wenn ich jetzt berichten würde, wie ihnen das gelingt. Also, selber anschauen.

Schauerromane sind ladylike. Da muss nicht gesplattert werden (aber es darf). Es geht nicht darum, durch Schilderung von Brutalität zu punkten, sondern etwas anderes zu erzeugen – eine Stimmung des Un-heimlichen. Unheimlich ist alles, was ein Heim nicht heimisch, sondern gefährlich macht. Spukhäuser sind also perfekte Orte für Schauerromane. Aber auch hier gilt das gleiche Prinzip wie im Horror. Die Protagonisten werden von etwas oder jemandem bedroht, dies auch noch an dem Ort, an dem man sich am sichersten fühlen sollte, dem eigenen Haus. Da genügt manchmal schon ein Schatten, die Schemen einer Jacke, die am Garderobenhaken hängt, ein seltsames Geräusch, dessen Ursprung unerklärlich bleibt, um eine Atmosphäre von Schauer zu erzeugen. Ich persönlich finde, auf den Schauer muss auch ein Schrecken folgen. Wenn man den Leser, der eigentlich keine Horor-Literatur liest, mit Schauer um den Finger gewickelt hat, dann kann man auch ma etwas tüchtiger zuschlagen, meistens lieben sie es. Bestes Beispiel – „The Shinig“, wo der Austragungsort zwar ein Spukhaus ist, der Horror aber in der Familie stattfindet, wo der meiste weltliche Horror auch seinen Anfang nimmt – ein Mann verliert langsam seinen Verstand und greift nach der Axt, um Frau und Kind zu erschlagen: siehe Tiefkühltruhe, Autounfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit. Wir alle fürchten um unsere persönliche Harmonie. Beim Betrachten eines Horrofilms, beim Lesen von Stephen King, da „erleben“ wir, dass alles noch viel schlimmer sein könnte und viel weniger abstrakt als ein Krieg, ein explodiertes Atomkraftwerk oder den Dingen, die Menschen aus religiösem Anliegen heraus tun. Da fällt mir ein, dass ich „Carrie“ mal wieder lesen könnte.

11 Gedanken zu „VOM HORRIBLEN, TERRIBLEN UND SCHAUDERHAFTEN

  1. andreee

    Aus dem Herzen gesprochen!
    Ich liebe Horrorfilme, aber das weißt du ja.

    Glaub ich muss mich jetzt auch mal der Horrorliteratur widmen. Darf man die genannten gleich als Empfehlung verstehen?

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  2. glamourdick

    REPLY:
    „shining“ und „carrie“ auf alle fälle. sehr schön auch king´s „cell“. „insomnia“ ist nicht sooo doll. dann lieber „under the dome“.

    hast Du „eden lake“ gesehen? der müsste Dir gefallen.

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  3. Casino

    wow. alles drin! danke für den überblick! ich liebe king auch, wegen der eleganten überführungen vom normalen in den alptraum, das graduelle und virtuose daran, überhaupt seine begabung für normalität, man kann wunderbar und unmerklich reinrutschen in die bücher und päng, ist die nacht durch.

    filme kann ich nicht, zu dolle, ich kreische dann durchgehend, aber bücher – großartig…

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  4. luckystrike

    REPLY:
    Also vielleicht hab ich den Film ja nicht richtig verstanden, aber für mich bestand der Horror nicht in erster Linie in der tatsächlich relativ vorhersehbaren und wunderbar drastisch gezeigten Gewaltentwicklung, sondern mehr aus dem, woraus Horror in der Regel besteht: dem Fremden. In diesem Fall dem yuppiesken Ehepaar, die ihre Realität und ihr Selbstverständnis ganz naiv und selbstverständlich gegen die deutlich andere Realität einer prekären Gesellschaft zu stellen versuchten, ohne zu ahnen, was sie damit hervorrufen (und was aus ihnen wird, wenn sie sich dem zu stellen versuchen, sowohl physisch wie auch psychisch.) In dem Zusammenhang paßt Ihr P-Berg-Hinweis ganz hervorragend, denn gleich 3-5 Querstraßen nördlicher und östlicher des Bionadeparadieses herrscht schon wieder ein GANZ anderes Klima, oder wenn man in F’hain ein paar Stationen zu weit mit der Straßenbahn fährt. Mir ging der Film tierisch unter die Haut, wie damals die österreichischen Funny Games und der andere, Dingens Video oder wie der hieß.

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  5. Foxxi

    Mist, zu spät …aber egal ich vertrete ja die Gegenmeinung.

    Ich liebe Horrorfilme, aber ein Film wie Eden Lake treibt mir zuerst die Zornesröte ins Gesicht, welche sich erst etwas legt, wenn ich mich über irgendetwas in einem solchen Film amüsieren kann, was im vorliegenden Fall der Dialekt der Mörderkids war („… follo se Blud!“)

    Beim Horror-, Thriller- und Fantasygenre setze ich keine allzu hohen Ansprüche an den Realismus, aber ein wenig davon ist kein Fehler. Jede Szene in Eden Lake war vorhersehbar und nicht etwa deswegen, weil man schon 100.000 mal die Variationen eines Themas gesehen hat, sondern weil man aus der Realität die Dynamik hinter solchen aufeinanderfolgenden Handlungen kennt. In Eden Lake führt dies zu einer wenig überraschenden Gewaltspirale, denn Aktion und Reaktion sollten bei erwachsenen Menschen eingermaßen abschätzbar sein, oder? Nur durch die üblichen strunzdummen Maßnahmen der „Opfer“ wird das Spektakel dann auf mind. 90 Minuten aufgebläht. Hochgeschwindigkeitsfluchten mit dem Auto durch einen dichten Wald enden im Film IMMER in einem spektakulären Unfall oder wenn die Darstellerin die Chance hat sich zu wehren bekommt sie einen Mitleidsanfall oder die Leute husten im falschen Moment etc. pp. Ich weiß es nicht mehr genau, aber war Schwangerschaft auch ein Thema in Eden Lake? Das geht nämlich auch immer.

    Das ist dasselbe wie ich mich bei ca. 99% der heutigen Zombiefilme immer wieder frage, ob es in der Zombiefilmwelt eigentlich keine Zombiefilme gibt, oder warum meinen die „Lebenden“ grundsätzlich es handelt sich lediglich um Menschen mit einem ausgeprägtem Schnupfen? Auch hier hilft übrigens immer das Schwangerensujet, wahlweise ist die Zombiemutter schwanger (und das Kind wohlauf, häää?) oder die Schwangere ist die Hoffnung der Menschheit oder die Gruppe lässt sich abschlachten weil man muss ja die Schwangere beschützen …aber ich schweife ab.

    Sicher, Eden Lake ist einigermaßen drastisch fotografiert, aber wenn ich die Grundstory (Landschaftsverbau durch Yuppies) nehme, könnte man sowas auch hier in Pregnancy Hill machen (schon wieder Schwangere..)… äääh ich meine natürlich drehen. Und die eingeborene Swinger-Dorfgemeinschaft am Schluss war ziemlich großartig, aber der Rest war höchstens ein Klassenkampfdrama aber kein Horrorfilm.

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