GLAMILY oder WE CAN BE HEROES

Freitagnacht, irgendwo in Niedersachsen. GlaMum feiert ihren Siebzigsten. Das längste Gespräch des Abends führe ich mit der Frau des Chefarzts und Besitzers der örtlichen Nervenheilanstalt. Die Geschichte der Psychiatrie, die Geschichte der Patienten während des „Nationalsozialismus“, die Wahrnehmung der Psychiatrie von außen, wenn man in einem Dorf aufwächst, in der die örtliche Psychiatrie der größte Arbeitsgeber ist. Beiderseits Übereinstimmung, dass es Fälle gibt, wo einfach nur noch Pillen helfen, erstmal, bevor weiter Behandlungsmethoden greifen können. Dann über die Schöpfungsgeschichte zu Fritz Harmann und die Geiz-ist-Geil-gefolgt-von-der-Tunnelblick-Generation.
Sie gehört im Ort, wie ich, zu den Menschen, denen immer Arroganz unterstellt wird. In ihrem Fall liegt es an ihrer natürlichen Autorität, gepaart mit Schönheit (später erfahre ich, sie wird 60 und sieht immer noch WOW aus), die mich an meine Werte & Normen-Lehrerin erinnert, die ich ja auch sehr liebe. Was es in meinem Fall ist – je ne sais pas. Diejenigen, die mich dort, in diesem Umfeld, jetzt arrogant finden, obwohl sie gar nicht mit mir in Kontakt kommen, sind diejenigen, die mich damals wie das letzte Stück Scheiße behandelt haben. Und nicht, weil ich arrogant war, sondern einfach anders. Aufgrund derer Xenophobie entwickelte ich eine schtronge Xenophilie, kann also auch nicht nur böse auf sie sein. Ick treff mein Leben lang spannende Leute.

*

Meine Mutter und ich räumen den Partyraum auf. Die Damen, die die Bedienung übernommen haben, geben uns freundlicherweise einen Lift, nachdem sie das Geschirr und wir das Putzen der Tische übernommen haben. Im Auto sagt eine der Damen – „Kannst Du Dich gar nicht an mich erinnern – ich war einen Jahrgang unter Dir!“ Ich schaue sie noch mal an, erkenne sie immer noch nicht. „Tut mir Leid. Ich hatte im Schulbus immer alle Hände voll damit zu tun, mir die Leberwurst aus den Haaren zu entfernen, die man mir reingeschmiert hat.“

*

Früher Samstagmorgen. Nach dem erfolgreich absolvierten Fest anlässlich des 70. der GlaMum sitzen wir im Wohnzimmer. GlaMum und GlamDad in Sesseln, ich davor, und GlamDad bekommt so eine 3.00 Uhr-morgens-Wut. Warja alles schön, aber der und der und das und das und überhaupt. Und wie konnte die und die das und das und also, nee. Normalerweise bin ich das ja, diese Nacht mal er, und ich weiß wo´s herkommt, und ich greif mit der rechten Hand den rechten Fuß der GlaMum, mit der linken den linken Fuß des GlamDad und rede ihn ein bisschen aus seiner Wut raus und glaube, dass wir drei so eine Nähe, wenn überhaupt, dann zuletzt zu meinen Säuglinsgzeiten hatten und das ist ja schon paar Tage her.

*

Samstagabend. Sitze in meinem Garten. Ganz amtlich meiner, aber eher auf dem Papier – ich bin ja nur paar Tage im Jahr hier. Außerdem hat meine Schwester damals die Kosten für die Giganto-Hecke übernommen, die wir gemeinsam gepflanzt haben. Die Gärten des Elternhauses, des Schwesternhauses und des Dritten, das einmal meins sein wird, auf dem Papier bereits ist, bilden einen großen gemeinsamen Garten. Mit Obstbäumen, der farbenfrohen Hecke, Flieder in weiß und lila, einem außer Kontrolle geratenen Haselnussstrauch. In einem kleinen Häuschen ruht der Rasenmäher und davor sitz ich, nach einer viertel Stunde Trampolin-Springen auf einer Bank unter einem Holzdachvorsprung und schau zu, wie es regnet. Der Toto-lookalike-Hund meiner Schwester ist immer noch ziemlich hyper, aber doch schon etwas älter, und nun springt er nicht mehr ständig herum, sondern ist auf die Bank neben mich gehüpft, hat sich dort hingelegt und an mich angekuschelt und ist sehr alert mit Blicken und Schnüffeln und Kopf hin und her drehen. So, um zu zeigen, „denk bloß nicht ich chille hier, Alter. Ich pass auf Dich auf!“

*

Sonntagmorgen. Ich packe gerade meine Sachen für die Abfahrt, da kommt mein Vater in mein Zimmer. Hier – für´s Tanken. und drückt mir einen Fünfziger in die Hand. Dann nimmt er mich in den Arm und drückt mich. Ziemlich lange für unsere Verhältnisse. Und dann noch mal so lang. „Und dann wollt ich mich noch mal bedanken, für Deine Hilfe beim Geburtstag, und weißt Du was? Du bist ein echter Kumpel.“

9 Gedanken zu „GLAMILY oder WE CAN BE HEROES

  1. tadellos

    ich erlebe in meiner eigenen familie gerade so etwas wie umdenken, neustrukturierung und andere positionen einnehmen und kann ahnen, wie lange der weg für ihre eltern und sie gewesen sein muss, dorthin zu kommen wo sie jetzt sind. insofern meine größte hochachtung für glam und glamum und dad.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert