Lois Banner: „Marilyn: The Passion and the Paradox“

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Ein paar Besuche im neuen Lieblingsbuchladen bin ich um das Buch herumgetanzt. Vom Regal genommen, geblättert, zurückgestellt. Nachdem der Laden ja von einer Dame betreut wird, deren Buchgeschmack ich vertraue –
„Ich hab schon mehrere Dutzend Marilyn-Biografien. Brauche ich noch eine?“
„Die ist anders.“
Gekauft. Die Lese-Erfahrung in einem Satz zusammenfassend: Wenn Sie in Ihrem Leben EINE Marilyn-Biografie lesen müssen, dann diese. Lois Banner, Historikerin und Gender-spezialisiert, hat eine enorme Recherche-Arbeit betrieben, frühere Biografien auf die Authentizität ihrer Quellen überprüft (oft mit krassen Ergebnissen) und das erste Buch geschrieben, das Marilyn in ihrem historischen Kontext, bzw in ihre historischen Kontexten betrachtet. Eine Kindheit in den 20er und 30ern, elf verschiedene Pflegefamilien, ein Aufenthalt im Waisenhaus. Eine erste Ehe in den 40ern, der Weg von der Kindsbraut über die Arbeit in der Fabrik bis zum ersten Model-Shoot, dann der langsame, zähe Aufstieg ins Model-Business, die konsequente Karriereleiter – endos lang und mit zersägten und fehlenden Sprossen, schließlich die Erschaffung von Marilyn Monroe und eine 12 Jahre währende Karriere, die von Kämpfen um Image und Selbstwert geprägt war, um Kunst inmitten einer Industrie. „She did it the hard way“ steht auf Bette Davis´ Grabstein, dies trifft auch auf Marilyn zu. Psychische Probleme, die in Richtung Borderline-Persönlichkeit tendieren, ein Mensch zwischen Neurose und Psychose, der ein Engel sein konnte, wenn man ihn ließ, der aber einfror und zumachte, wenn nicht. Die massiven Angstzustände vor einem Auftritt, die Unfähigkeit, den Trailer zu verlassen, wenn sie sich nicht ausreichend vorbereitet fühlte – der Konsum von Medikamenten, die nicht wirklich halfen, aber schwer abhängig machten. All dies erklärt sich, wird verständlich, wenn man sich die Möglichkeiten vor Augen führt, die es zu Marilyns Lebzeiten (noch) nicht gab. Das amerikanische Mindset der 50er und frühen 60er, die Verklemmtheit in Sachen Sexualität – Marilyn taucht da als Lichtblick auf. Als ein Mensch, der mit kindlich-konsequenter Logik ist, was er ist – ein sexuelles Wesen, und in dieser Natur gleichzeitig völlig rein und un-verschämt. Die Leichtigkeit ihrer Darstellungen und die Unverkrampftheit ihrer Model-Posen (ab Mitte der 50er, als sie die Hollywood-Glamour-Cheesecake-Phase hinter sich gelassen hatte und sich dem Fotografen Milton Greene öffnete), stehen in starkem Kontrast zum Kampf, zu dem ihr Leben geworden war. Der Kampf um Filmrollen, dann der Kampf um gute Filmrollen (der bis zum Schluss anhielt – Marilyn bekam von der 20th Century Fox nicht etwa gute Filme angeboten, sonder meistens Schrott, den sie sich weigerte zu spielen, ihre eigenen Wunsch-Projekte musste sie sich ein ums andere Mal erkämpfen, mitunter gerichtlich, manchmal taktisch), der Kampf um Anerkennung als Künstlerin und Geschäftsfrau, der Kampf, Mutter zu werden (sie litt unter Endometriose, die mit starken Schmerzen verbunden ist und erlitt während ihrer Ehe mit Arthur Miller mehrere Fehlgeburten), der Kampf um den Erhalt ihrer Ehen, der Kampf, nicht, wie die Mutter, in der Psychiatrie zu enden. Selbst ihre Arbeit am Set war Kampf. Durch ihr häufiges zu-spät-kommen machte sich sich am Set nicht gerade Freunde. Dreharbeiten mit Marilyn waren für alle Beteiligten Schlachten. Regisseure waren erst wieder von ihr begeistert, wenn sie die Resultate auf der Leinwand sahen. Vom Waisenkind zum Star ihrer Zeit und darüber hinaus, von einem Kind, das herumgereicht wurde wie Falschgeld zu einer Frau, die den berühmtesten Sportler, dann den meistgespielten amerikanischen Dramatiker zum Ehemann hatte und die schließlich mit dem Präsidenten ihres Landes eine Affäre hatte – sie hat viel erreicht, was sie erreichen wollte. Und sie hat viel dafür zahlen müssen. Ihr früher Tod lässt sie als Opfer erscheinen, aber Lois Banner arbeitet heraus, dass sie ein trickster war, eine Innovatorin. Eine Kämpferin. Eine Frau, die das Motto der Freien Liebe gelebt hat, als die Hippies noch nicht einmal existierten.

Ich schreibe mich gerade wieder in eine Marilyn-Rage. Wie die meisten ihrer Verehrer, hätte ich sie wahnsinnig gerne gerettet, verteidigt, bewahrt. Und das Gefühl hatte ich, als ich Lois Banners Buch las. In einigen Theorien folge ich ihr nicht, aber die Arbeit, die in dieses Buch gesteckt wurde, die Sorgfalt und Genauigkeit, die Schonungslosigkeit und gleichzeitige Empathie für ihre Hauptfigur – sie sind mit Herzblut getränkt.

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