Lausitzer 8

Kurz vor 6, noch vorm Weckerklingeln wach. Trommeln. Früher als geplant hat die Sitzblockade in der Lausitzer 8 begonnen. Kurze Zeit später die ersten Wannen. In den Häusern gegenüber und im Hinterhaus gehen die Lichter an. Einige haben Transparente aus dem Fenster gehangen. Schau ich nach vorn raus – Demonstanten und Polizei, nach hinten – Nachbarn im Hinterhof, die Kaffee ausschenken. Im Hinterhof nebenan bald auch die ersten Polizisten.

Unten unterhalte ich mich mit Nachbarn. Im Hof zieht ein junger Mann, Typ BWL-Student, seine Hose aus, um eine lange Unterhose drunter zu ziehen. Auf der Straße jetzt geschätzt 500 Leute, friedlich, bunt gemischt, viele, die ich aus der Straße kenne, 60% junge Leute, Studis. Über uns Hubschrauber. Die Nachbarn in der Remise habe ihre Wohnung geöffnet und stellen ihr Klo den Demonstranten zur Verfügung. Ich stehe irgendwann ziemlich eingekeilt auf der Straße, da tippt mir der Remisen-Mieter auf die Schulter, gerade, als ich denke „Was soll ich bloß tun – man muss doch etwas tun können!“
„Glammy,“ sagt er – „kannst Du uns vielleicht mit Klopapier aushelfen?“ Dann stiefele ich nach oben, zwei Stufen auf einmal, und hole Klopapier.
Als ich vor der Absperrung stehe und einen Polzisten frage, ob er mich freundlicherweise durchlässt, da ich zur Arbeit müsse, ernte ich einen Gesichtsausdruck, der „Nein“, sagt. Nach etwas Grübeln deutet er mir, durch die Absperrung zu klettern. Er eskortiert mich zum Ende der Straße und schickt mich durch die zweite Absperrung – irgendwie ein walk of shame. Auf der Wiener Straße reihen sich die Wannen aneinander. Ich fühle mich schuldig, nicht da zu bleiben.

Gedanken kreisen nach wie vor um die Familie, die da heute zwangsgeräumt wird. Aber auch um die Polizisten, die die Rechtssprechung in diesem Fall vermutlich genauso krank finden wie wir Mieter, aber auch nur ihren Job machen – manche besser als andere. Ich bin stolz auf meinen Kiez, auf das Ungerechtigkeitsbewusstsein meiner Nachbarn, auf alle, die sich vor das Haus gesetzt haben, alle die auf der Straße waren.

Offizielle Pressemitteilung vom „Bündnis Zwangsräumung verhindern“:

Ausnahmezustand wegen Zwangsräumung

Mehrere hundert Polizisten, gesperrte Straßen und U-Bahn, Hubschrauber, Polizistengruppen vor etlichen Hauseingängen, brutale Räumung der Sitzblockaden, Festnahmen, mehrere Verletzte durch Pfefferspray und Prügelattacken. Berliner Politik und Polizei beantworten Mieter_innenproteste mit einem Ausnahmezustand in Kreuzberg.

Selbst die Anwesenheit von Anwälten, dem „Arbeitskreis Kritischer JuristInnen“ und des Grundrechtekomitees beeindruckten die Polizei nicht im geringsten.

Trotz dieses unglaublichen Vorgehens waren ca. 800-1000 Menschen nicht gewillt ihren Protest gegen hohe Mieten, Verdrängung und Zwangsräumung aufzugeben. Sie blockierten weiterhin mehrere Stunden die Lausitzer Straße um der Gerichtsvollzieherin den Zugang zum Haus zu verwehren.

So war es der Polizei nicht möglich die Gerichtsvollzieherin auf direktem Weg ins Haus zu bringen. Sie versuchten sie mit einer Polizeiuniform zu tarnen und musste sie auf Umwegen über Hinterhöfe in die Lausitzer Straße 8 bringen. Der eigentliche Akt der Zwangsräumung ging dann in wenigen Minuten vor sich.

Obwohl der Aktionskonsens des Bündnisses lautete „Von uns geht keine Eskalation aus“, hat die Berliner Polizei angesichts der großen Proteste, die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt weit übertrieben.

Die massenhafte Teilnahme an den Protesten zeigt aber dass die Menschen sich davon nicht abschrecken lassen. Zur Zeit sammelt sich die Wut und der Protest auf der Straße.

Bündnis Zwangsräumung verhindern

zwangsraeumungverhindern.blogsport.de
zwangsraeumungverhindern@riseup.net
Facebook: Zwangsräumung verhindern
twitter.com/WirKommenAlle

Ein Gedanke zu „Lausitzer 8

  1. Georges (Gast)

    Ich finde es toll, dass die Nachbarn solidarisch protestiert haben.
    Letztendlich muss man auch mal protestieren, obwohl man weiß, wie aussichtslos es ist.
    Ich wünsche der Familie alles Gute für die Zukunft!
    LG

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