MICHI

„Wer in der Pause rausgeht wird nie wissen, wie es ausgeht“
(Michael von der Heide)

Wenn man ein Label leitet, dann bekommt man häufig Demo-CDs zugesandt. Wenn man ein Chanson-Label leitet, dann sind das häufig Demo-CDs von angehenden oder abgeschlossenen Schauspielstudenten, die mal Georgette Dee gesehen haben und der irrigen Illusion aufsitzen „Das kann ich auch“. Dramatisch sein und grob, die Herzen aufwühlen und die Leute zum Lachen und Weinen bringen. All das am Liebsten zu den Klängen von Hollaender, Weill, Kreisler oder dem Repertoire, dass sich Tim Fischer zusammengeklaut hat (aus dem Repertoire von Chansonetten, die es genau so vorgetragen haben wie er. Nur besser.)
Wenn nun also in der Post etwas Eckiges war, dann war das selten Anlass zur Freude. Demos. Meist genügte ein Blick aufs selbstkopierte Cover. Das Anhören bestärkte in fast allen Fällen den schlechten visuellen Eindruck. Kopfschütteln, Ekel. Manches mal fiel mir nicht einmal mehr eine höfliche Absage ein, da der übersteigerte Selbstwert, den manche Sänger abgeschlossene Schauspielstudenten mit ihren Gesangsproben an den Tag legten nicht mehr nur kess, sondern einfach nur krass war. Selbst die Floskel „passt momentan nicht in unser Programm-Konzept“ ging mir in einigen Fällen nicht über die Fingerkuppen. Wirklich abscheuliches Material wanderte unbeantwortet in die Giftkiste, in der ich die Stalker-Briefe verwahrte, falls mal einer unserer Künstler von einem durchgeknallten Fan umgebracht werden sollte.
Man kann sich also die Begeisterung vorstellen, wenn jemand aus dem Bekanntenkreis mit der CD eines Chanson-Jünglings ankam und befand „Die MUSST Du hören, GAAAAANZ toll!“ Noch ne Tim Tischer-Kopie, die Kopie einer Kopie also. Argh.
Diese Art von CD schob ich meist einige Wochen auf dem Schreibtisch hin und her, bis ich mal einen ganz krassen Anfall von Langeweile bekam und auf Radio Eins grad wieder nur Peter Gabriel und Elvis Costello und son Scheiß gespielt wurde. So auch an einem Tag im Jahr 1996. Die CD, die ich nun einlegte, hatte gegenüber dem Großteil des Schrotts, mit dem ich meine Hörnerven professionell verletzte, einen erkennbaren Vorteil – schickes Cover-Artwork. Außerdem handelte es sich nicht um ein Demo, sondern um eine fertig produzierte CD. Das war der Tag, an dem ich Michi-Fan wurde. Die Produktion war professionell, der Stil irgendwo zwischen Chanson und Radio-Pop – in Deutschland zu dem Zeitpunkt eine unvorstellbare Mischung. Die Lieder chamant, witzig, bewegend – laugh/ cry/ tap to the foot – die ganze Bandbreite vertreten, und die Stimme einzigartig, erinnerungswürdig. Die Platte wollte ich also sofort für Deutschland, und so kam ich das erste Mal mit dem Künstler ins Gespräch. Der Plattendeal, das kann ich vorwegnehmen, kam nicht zustande. Aber in vielen Telefonaten begeisterten wir uns für einander und als wir uns das erste Mal in Berlin trafen, waren wir beide ganz erleichtert.
„Ich bin froh, dass Du so gut aussliehst“ sagte er zu mir und ich verstand natürlich was er meinte und fand das einen überzeugenden Eröffnungssatz. Der Abend war der erste in einer langen Reihe von Zusammentreffen im deutschsprachigen Raum, in denen viel geredet, geraucht und getrunken wurde. Ich zeigte ihm mein Berlin, er mir sein Zürich. Ich veranstaltete ihm eine Premierenparty in der Mansion, zu der u.a. die deutsche Chanson-Elite (mit Ausnahme Georgettes, die gerade anderswo gastierte) erschien (zugegeben, die Chanson-Elite war und ist klein, deshalb nennt man es ja auch Elite.) Gemeinsam mit Dolly B. sahen wir ein Nena-Konzert direkt auf der Bühne, wir feierten einen meiner Geburtstage rockstarmäßig in einem Hotelzimmer, trafen uns zu Premieren oder TV-Aufzeichnungen und zogen danach um die Häuser. Er verkörpert genau die Art von Glamour, die ich liebe. Eine Kombination von Stil, Selbstironie und Sexiness. Und er ist immer top frisiert. Wenn er singt, dann wickelt er das Publikum um den Finger, dass es ein kulturelles Desaster ist, dass er in Deutschland kaum bekannt ist. Was sich hoffentlich bald ändern wird, da er gerade eine neue Platte aufgenommen hat. Und wenn die in Deutschland nicht veröffentlicht wird, dann emigriere ich nach Zürich, wo ich schon morgens neben einem Elefanten die Straße entlang ging, was mir in Berlin noch nie passiert ist. (Zirkus Knie machte einen Morgenspaziergang). Außerdem lebt in Zürich der beste Küsser, den ich je geküsst habe, den habe ich auch Michi zu verdanken, und überhaupt fühlt man sich in dieser Stadt an diesem großen See gar nicht wie in einem Bergstaat sondern fast mediterran. Wenn es Frühling ist. Und wenn es Frühling wird in Zürich, dann werde ich natürlich da sein, wenn Michi die neue Platte live vorstellt. Und mich sehr privilegiert fühlen, in einer Zeit, die mit Privilegien geizt.

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