DAS ROTE GRAUSEN oder WAS HAT SIE?

Wer keine Erwartungen hat kann auch nicht enttäuscht werden. Sehr wohl aber entsetzt. Und das, wo ich die besten Absichten hatte, einer deutschen Entertainerin Tribut zu zollen, wenn Bernadette Peters es einfach nicht gebacken kriegt, ihre Löckchen mal durch den Berliner Schnee zu schaukeln. Sind wir also zu Katja Ebstein, die hat auch rote Haare, und ins Konzerthaus wollte ich auch schon immer mal, nicht zuletzt, weil die Kassenkräfte einen legendären Ruf genießen.

Kaum, dass wir in den heiligen Hallen angekommen sind, schlägt uns der Duft des Alters entgegen. Franzbranntwein, Kölnisch Wasser und Haarspray, sowie eine Prise Muff aus den hinteren Bereichen des Wäschekorbs. Damen und Herren, hauptsächlich Damen, in allen Schattierungen der Vergreisung von gepflegt bis Pflegestufe. Man Frau drängelt sich vor der Kasse.
„Sind Sie Eltern der Kinderchorkinder?“ werden die Damen und der vereinzelte Herr hinter uns in der Schlange gefragt. Warum fragt mich das niemand? ärgere ich mich und schicke einen strafenden Blick.
„Sind Sie Gast von Frau Ebstein?“ Nein. Ich habe für das Vergnügen bezahlt. Die Fragenden können sich meine Anwesenheit hier ebenso wenig erklären wie ich mir selbst, aber das Skailight hat entschieden. Zwei kesse Ommis kennen so etwas wie eine Abkürzung und wollen sich in der Schlange nach vorne schummeln, haben aber die Rechnung ohne den Altenhasser Glam gemacht.
„Stellnse sich aber sofort wieder dahin wo sie herkommen!“
„Der junge Mann hat aufgepasst.“
Genau, Glam kennt keine Gnade für Fremde ab 70.
Die Kassiererin raunzt die Kartenabholervor uns an und ich schenke ihr ein breites Lächeln, das sie verschwörerisch erwidert. Zero tolerance. Insbesondere für „Anrechtsinhaber“ – Abonnent durfte man in der DDR nicht sagen, das war zu französisch. Dreistellige Anrechts-Kundennummern deuten auf eine ehemals hohe Funktion hin, aber ich lass mich nicht rumschubsen.
„Ich habe ein Anrecht!“
„Du hast kein Anrecht, Du hast einen Platz in der Schlange, Du alte Stasi!“
It´s dog eat dog an der Kasse vom Ebstein-Konzert. Die meisten Anstehenden haben sich schon lange nicht mehr so behende bewegt wie jetzt im Endspurt auf dem Weg zu Katja. All die Jahre, die sie fürs Fernsehen mittem Fahrrad durch den Osten geradelt ist haben sich bezahlt gemacht – in einer treuen, verschworenen Ost-Anhängerschar.

Endlich im zweiten Rang angekommen, geht das Konzert auch schon bald los und wir befinden, dass wir uns im falschen Saal befinden. Ein Kinderchor singt ein Lied, in dem es ungefähr heißt „Mit D-Mark auf zu Mahler geht“. Ich verstehe, warum die Karten so günstig waren. Weil man hier kein Wort versteht. Nach weiteren gefühlten 8 Kinderchorbeiträgen kommt dann endlich die straffe Katja auf die Bühne und steigt gleich mit einem Höhepunkt ein. Ein Lied von einem jungen brisanten Komponisten über eine Nationalheldin aus dem Süden Amerikas. „Wein nicht um mich Argentinien.“ Das macht sie sehr gut und man versteht fast jedes Wort. Dann kommen Hits aus der Feder Heinrich Heines und all ihrer Liedermacherfreunde von einst „die auch heute noch nichts an Brisanz verloren haben“. Na ja. Lieder für die Kinder dieser Welt. Und dann eine ganz verschärfte Rockfassung von „Was hat sie, das ich nicht habe“, leider versteht man kein Wort, wie auch schon bei den anderen „Songs“ (ja, sie bezeichnet ihre Lieder, ganz Kosmopolitin, als „Songs“. Bei „Was hat sie…“ werde ich sauer. Da ist dieser geile Satz drin, in dem sie über eine Frau berichtet, die f§
„für 20 Mark Schminke“ im Gesicht hat, den hab ich schon als Kind so geliebt. Und jetzt dürfen ihn nur die hören, die direkt vor der Katja sitzen. Ich meine, hab ich nicht auch ein Anrecht??“

Ich bin hin und hergerissen zwischen Langeweile, Lachanfällen, Angstschüben (Ist Alter ansteckend?) und Zynismus und Verzweiflung. Ich hatte mir so sehr vorgenommen, die Katja richitg toll zu finden, aber es will mir partout nicht gelingen. Nach einer knappen Stunde schließlich erhört Gott mein Gebet und die Katja macht eine Pause. Wir nehmen diese zum Anlass, dem Konzerthaus den Rücken zu kehren. Erst eine Stunde später haben wir Teile unserer Fassung zurück, die es uns ermöglicht, ein Gespräch zu führen. Immerhin – es ist kaum 13.00 Uhr und wir haben schon das Schlimmste des Tages überstanden.

10 Gedanken zu „DAS ROTE GRAUSEN oder WAS HAT SIE?

  1. glamourdick

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    das konzerthaus hat aber auch viel stellplatz für rollatoren. hab ich mir gleich ne mentale notiz für später gemacht. die darf ich mir jetzt bloß nicht wegkoksen.

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  2. luckystrike

    Ich erinnere mich noch gut an ein ebensolches Konzert im Friedrichstadtpalast, allerdings ohne Kinderchor und abends. Wie sehr muß ein Mensch sich vor sich selber ekeln, daß sie in einem Programm namens „Meine Lieder“ so gut wie keins der eigenen singt, aber jeden anderen Dreck
    Aber wirklich das Herz gebrochen hat mir die Seniorin mit dem Rollator, die fast eine halbe Stunde gebraucht hat, die tausend Stufen zur Bühne runterzuklettern, um unserer Katja einen gammligen eingeschweißten Blumenstrauß darzubieten.
    Was Katja auf der Bühne rumstrapsend komplett viertelstundenweise ignoriert hat, so daß der tapferen aber mittlerweile traurigen Seniorin nur übrig blieb, die Blümelein abzulegen und mit dem Rollator die tausend Stufen wieder hochzuklettern.
    Also sie oben war, war das Konzert schn vorbei.
    Das kann man doch auch anders machen, die Vicky, die reißt den Leuten die Sträuße ja schon aus den Händen, wenn sie noch gar nicht an der Bühne stehen und verklappt die dann nachher auch bloß im Container hinterm Palast, aber die Leute freuen sich.

    Jedenfalls mochte ich seitdem die Katja nicht mehr so.

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  3. Modeste

    Es ist ja nicht so, dass man was gegen Senioren hätte, aber mir fallen in letzter zeit auch mehr als Rentner unangenehm auf als jugendliche Rabauken. das Rabaukentum hat sich ganz offensichtlich verlagert.

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